Ist Lungenkrebs vererbbar?
Dass es angeborene, zu Krebs disponierende Krebsgene gibt, beweist die Zwillingsforschung, denn bei eineiigen Zwillingen besteht eine größere Übereinstimmung als bei zweieiigen. Der Bruder eines erkrankten eineiigen Zwillings hat ein etwa doppelt so hohes Erkrankungsrisiko wie sein zweieiiger Zwillingsbruder. Wie bedeutsam erbliche Krebsgene jedoch sind, ist nach wie vor unklar.
Allgemein geht man davon aus, dass die Vererbung zwar eine enorme Rolle spielt, die meisten angeborenen Krebsgene aber erst bei zusätzlichen Einflüssen und Risiken aktiv werden. Aktives und passives Rauchen, radioaktive Substanzen, krebserregende Substanzen am Arbeitsplatz und bestimmte Lebensstilfaktoren zählen hierzu. Krankheiten mit polygenetischer Veranlagung, zu denen der Lungenkrebs zählt, beruhen auf dem Zusammenwirken einer großen Zahl von Genvarianten, die bei gleichzeitigen äußeren Einflüssen die Krankheitsentwicklung begünstigen. Jede einzelne Genvariante liefert in diesem Prozess einen mehr oder weniger bedeutsamen Beitrag.
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Es ist richtig ist, dass Raucher ein sehr hohes Lungenkrebsrisiko haben. Es ist jedoch falsch, dass nur Rauchen gefährlich ist. Manche Kettenraucher bleiben bis ins hohe Alter verschont. In dem Buch Lungenkrebs vermeiden werden zahlreiche Einflüsse aufgezählt, die das Krebsrisiko bei Rauchern reduzieren. Es ist richtig, dass man heute den Lungenkrebs wesentlich früher erkennt. Es ist jedoch falsch zu glauben, dass sich deswegen die Heilungsaussichten Erkrankter verbessert hätten. In dem Buch wird darauf hingewiesen, dass einzig die Vorbeugung, und nicht etwa die Vorsorge/Früherkennung das Erkrankungsrisiko reduziert. Chancen und Grenzen der Lungenkrebsdiagnostik werden kommentiert. Die von Prof. Dr. H. Delbrück in dem Buch gegebenen Schlussfolgerungen und Empfehlungen beruhen auf eigenen klinischen Erfahrungen mit vielen tausend Lungenkrebspatienten, auf internationalen wissenschaftlichen Studien und auf Recherchen der derzeitigen internationalen wissenschaftlichen Literatur.
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Gibt es eine Veranlagung für Lungenkrebs?
Im traditionellen Sinne spricht man von erblichen Erkrankungen, wenn ein einzelnes Gen verändert ist und daraus eine Erkrankung entsteht. Solche (monogene) erbliche Lungenkrebserkrankungen sind sehr selten. Sehr viel häufiger liegen dem Lungenkrebs mehrere, wenig dominante „Krebsgene“ (Low-Risk-Gene) zu Grunde, die erst bei zusätzlichen Einflüssen zu einer Krebskrankheit führen, oder wenn beide Elternteile zwar schwache Krebsgene haben, diese aber gemeinsam an ihre Kinder vererben, so dass es zu ähnlichen Auswirkungen wie bei Vererbung eines dominanten Gens kommt (homozygote genetische Veranlagung). Die meisten Menschen haben eine „heterozygote (poly)genetische Veranlagung“, die erst bei Einwirken zusätzlicher Schadstoffe und Umwelteinflüsse relevant wird. Bei einer homozygoten genetischen Veranlagung führen schon geringe zusätzliche Einflussfaktoren zu einem Krankheitsausbruch, hingegen bedarf es bei einer heterozygoten genetischen Veranlagung stärkerer und/oder mehrerer zusätzlicher Einflüsse. Sicher ist, dass es neben krebsfördernden Genen auch vor Krebs schützende Gene gibt, die vererbt werden. Sind sie geschwächt, so erhöht sich das Krebsrisiko. Beeinträchtigungen an den Reparaturgenen können angeboren sein oder sich später, im Laufe des Lebens, durch Umwelteinflüsse entwickeln. Das menschliche Genom ist zeitlebens Einflüssen ausgesetzt, die zu Genmutationen führen. Der Körper erkennt und repariert jedoch die meisten Genschäden. Erst wenn sich die Krebsgene dem Kontrollmechanismus entziehen oder die Kontrollmechanismen versagen, kommt es zu einer unkontrollierten Vermehrung der Krebszellen.
Welche angeborenen Gendefekte erhöhen das Lungenkrebsrisiko?
Ein veränderter DNA-Abschnitt auf Chromosom 6 entscheidet mit darüber, ob sich bei Rauchern ein Adenokarzinom oder ein Plattenepithelkarzinom entwickelt. Auf dem gleichen Chromosom 6 liegen Gene, die die Karzinomentstehung bei Nichtrauchern fördern. Auf dem Chromosom 15 befinden sich genetische Informationen, die bei Rauchern die Lungenkrebsentwicklung beeinflussen. Raucher und ehemalige Raucher mit einer Kopie des hier befindlichen Gens haben ein um 28 % höheres und Raucher mit zwei Kopien sogar ein um 80% erhöhtes Erkrankungsrisiko. Zu den vererbbaren Risiken zählt auch das mutierte BRCA-2-Gen, das allerdings bei anderen Karzinomen ein wesentlich dominanterer Krebsrisikofaktor ist (z. B. bei Brustkrebs).
Man schätzt, dass etwa 2 % der Bevölkerung ein mutiertes BRCA-2-Gen haben. Mitunter ist es schwierig angeborene Veränderungen des Genoms von erworbenen zu trennen. Dass die Chromosomen, speziell bei Adenokarzinomzellen der Lunge besonders lange Endkappen (Telomere) haben, ist eine Folge erworbener Einflüsse. Erkrankte Nichtraucher haben häufig zwei Varianten des Gens GPC5 auf dem langen Arm von Chromosom 13 (Yang, Ping et al 2010). KRAS-Mutationen findet man vor allem bei erkrankten Rauchern, EGFR-Mutationen hingegen häufig bei erkrankten Nichtrauchern. Durch die modernen Techniken der molekulargenetischen Analyseverfahren entdeckt man zunehmend neue vererbbare Risikogene für Lungenkrebs. Es sind vorwiegend Niedrig-Risiko-Gene (Low-Risk-Gene), die nur bei zusätzlichen, mehr oder wenig starken äußeren Einflüssen relevant werden. Einige von ihnen beeinflussen indirekt die Krebsentwicklung, so z. B. dadurch, dass sich die Anfälligkeit des Gewebes für bestimmte Schadstoffe erhöhen und für die Invasion und Ausbreitung von Krebszellen vorbereiten.
Wann sollte man an eine angeborene genetische Prädisposition denken?
An ein erhöhtes, vererbbares Risiko muss man denken, wenn mehrere Familienmitglieder in mehreren Generationen an Lungenkrebs erkrankten. Bei Verwandten ersten Grades (Eltern, Geschwister, Kinder) ist das mittlere Krebserkrankungsrisiko etwa 1,5 bis 2fach erhöht. Lag das Alter der an Krebs erkrankten Verwandten < 50 Jahren, so ist das Erkrankungsrisiko noch höher. Bei jungen Menschen (d. h. etwa vor dem 40. Lebensjahr), bei beidseitigen oder an mehreren Stellen in der Lunge auftretenden Tumoren, ist ebenfalls eine genetische Prädisposition in Betracht zu ziehen.
Eine solche ist relativ unwahrscheinlich, wenn sich der Krebs im fortgeschrittenen Lebensalter entwickelt. Ein häufiges familiäres Vorkommen muss nicht genetisch bedingt sein, sondern kann auch mit tradiertem Verhaltensweisen zusammenhängen. Hierzu gehört z. B. ein seit Generationen gleiches Rauchverhalten im familiären Umfeld oder eine gemeinsame Radium- oder Asbestexposition.
Gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede?
Männer erkranken wesentlich häufiger an Lungenkrebs, wofür wahrscheinlich nicht nur der stärkere Tabakkonsum verantwortlich ist. Zunehmend erkranken Frauen, besonders jüngere Frauen. Ursachen sind neben dem zunehmenden Zigarettenabusus auch andere Einflüsse. Adenokarzinome sind bei Frauen wesentlich zahlreicher als bei Männern. Auf molekularer Ebene finden sich bei Frauen häufiger genetische „Treiber-Mutationen“.
Lungenkrebs ethnische Besonderheiten
Dass Lungenkrebserkrankungen in einigen Bevölkerungsgruppen und Ethnien häufiger vorkommen, liegt sowohl an der unterschiedlichen genetischen Ausstattung als auch an besonderen Umwelteinflüssen und Lebensgewohnheiten. Einige Experten nehmen unterschiedliche Variationen im Nikotinmetabolismus an, andere meinen, dass es an den unterschiedlichen Rauchgewohnheiten liege, an einer stärkeren Karzinogen-Exposition, an anderen Lebensgewohnheiten und an unterschiedlichen sozioökonomischen Bedingungen. In Asien erkranken wesentlich mehr Nichtraucher an einem Adenokarzinom.
Ob dies an anderen Schadstoffen, Viren und/oder an einer besonderen, vererblichen Genanlage liegt, ist unklar. Männliche Afroamerikaner haben ein etwa 20 % höheres Krebsrisiko als weiße Amerikaner. Afroamerikanische Frauen erkranken häufiger an Lungenkrebs als weiße Frauen, gleichwohl in den USA mehr weiße (20 %) als afroamerikanische Frauen (17 %) rauchen.
Quelle und Buch-Tipp:
Lungenkrebs vermeiden der Ratgeber zur Krebsvorsorge
Hermann Delbrück ist Arzt für Hämatologie – Onkologie und Sozialmedizin sowie Rehabilitation und physikalische Therapie und Hochschullehrer für Innere Medizin und Sozialmedizin. Während seiner Laufbahn in der experimentellen, kurativen und vor allem rehabilitativen Onkologie veröffentlichte er mehrere Lehrbücher. Er ist der Herausgeber zahlreicher Ratgeber für Betroffene mit Krebs. Seit seiner Emeritierung 2007 befasst er sich vorrangig mit Fragen der Prävention von Krebs.