Statistische Erkrankungsrisiken bei Frauen
Jährlich erkranken in Deutschland ca. 7.800 Frauen an Eierstockkrebs. Das Lebenszeitrisiko, irgendwann an diesem bösartigen Tumor zu erkranken, liegt bei einem neugeborenen Mädchen bei etwa 1,5 %, d. h. eines von 72 Mädchen muss mit einer Erkrankung rechnen. Das Erkrankungsrisiko steigt mit dem Alter. Nur etwa 5 – 10 % der Betroffenen sind jünger als 45 Jahre. Bei ihnen liegt dann eine genetische Prädisposition vor. Die Überlebensaussichten sind – verglichen mit anderen Krebskrankheiten der weiblichen Geschlechtsorgane – schlecht, allerdings sind in den letzten Jahren therapeutische Fortschritte zu verzeichnen.
Wahrscheinlichkeit ( % ) in Deutschland, in den nächsten 10 Jahren an Eierstockkrebs zu erkranken, in Abhängigkeit vom Alter (Robert-Koch-Institut 2010)
Lebensalter: | 35 Jahre | 45 Jahre | 55 Jahre | 65 Jahre | 75 Jahre |
Erkrankungsrisiko: | 0,1 % | 0,2 % | 0,3 % | 0,4 % | 0,4 % |
Risiko (%) eines neugeborenen Mädchens im Laufe ihres Lebens an bestimmten Krebserkrankungen zu erkranken (modifiziert nach Krebsregisterdaten, Robert Koch Institut 2015)
- Darmkrebs: jedes 18. neugeborene Mädchen (5,7 %)
- Magenkrebs: jedes 77. neugeborene Mädchen (2,3 %)
- Brustkrebs: jedes 7. neugeborene Mädchen (13 – 14 %)
- Lungenkrebs: jedes 36. neugeborene Mädchen (2,8 %)
- Bauchspeicheldrüsenkrebs: jedes 70. neugeborene Mädchen (1,4 %)
- Eierstockkrebs: jedes 72. neugeborene Mädchen (1.4 %)
- Gebärmutterhalskrebs: jedes 120. neugeborene Mädchen (0,8 %)
- Gebärmutterkrebs: jedes 49. neugeborene Mädchen (2,1%)
Eierstockkrebs genetische (angeborene) Einflüsse als Risiko?
Wenn Eierstockkrebs in einer Familie gehäuft vorkommt, sollte man an eine angeborene genetische Prädisposition denken. Vererbliche Krebsgene sollen bei bis zu 22 % der Erkrankten für die Krebsentstehung verantwortlich sein (Bolton et al 2012). Bei jungen Krebspatientinnen (< 40 Jahre) ist die Wahrscheinlichkeit genetischer Einflüsse besonders groß.
Eine Genanalyse kann Aufschluss darüber geben, ob bei ihnen ein dominant vererbliches Erkrankungsrisiko vorgelegen hat. Wird ein solches nachgewiesen, dann sollten sich auch die blutsverwandten Angehörigen untersuchen lassen. Eine Genanalse ist wichtig für die Betroffenen selber, weil vererblich bedingte Tumore auf bestimmte Medikamente anders ansprechen; sie ist für die blutverwandten Angehörigen wichtig, weil potentielle Trägerinnen des Hoch Risiko Gens unter ihnen besondere Vorsichtsmaßnahmen zu beachten haben.
Die Höhe des Erkrankungsrisikos für Angehörige korreliert mit der Anzahl betroffener Verwandten. Eine von 20 Frauen, bei denen eine Verwandte ersten Grades (Mutter, Schwester) an einem Eierstockkrebs erkrankte, wird (im statistischen Mittel) selbst an einem Eierstockkrebs erkranken. Das Risiko steigt auf 1 zu 14 bei zwei erkrankten Verwandten ersten Grades. Auch hat die Schwester einer an Eierstockkrebs erkrankten eineiigen Zwillingsschwester ein signifikant höheres Erkrankungsrisiko als eine zweieiige Zwillingsschwester.
Es gibt vererbliche Krebsgene mit sehr hohem, mit moderatem und niedrigem Erkrankungsrisiko. Zu den Hoch-Risiko-Krebsgenen zählen die BRCA I- und BRCA 2-, MSH6-, MSH2- und MLH1-, RAD51C-, RAD51D- Gene. Zu den moderaten Risiko-Genen zählen BRIP1-Genmutationen.
Verdachtshinweise auf eine genetische Eierstockkres-Disposition
- in der Familie sind (unabhängig vom Alter bei der Erstdiagnose) mindestens drei Verwandte ersten Grades an Brustkrebs erkrankt
- zwei Frauen sind an Brustkrebs erkrankt, davon eine Erkrankte unter 51 Jahren
- mehr als zwei Familienmitglieder sind/waren an Eierstockkrebs erkrankt
- in der Familie ist/war eine Frau vor dem 51. Geburtstag an beiden Brüsten erkrankt
- in der Familie ist/war eine Frau unter 41 Jahre an Eierstockkrebs erkrankt
- in der Familie ist/war eine Frau, die vor dem 36. Geburtstag an Brustkrebs oder Eierstockkrebs erkrankt
- eine Frau in der Familie ist / war sowohl an Brustkrebs als auch an Eierstockkrebs, unabhängig vom Alter, erkrankt
- in der engeren Familie sind / waren zwei Verwandte ersten Grades an Eierstockkrebs erkrankt
- eine Frau > 50 Jahre in der Familie ist/war an einem beidseitigen Brustkarzinom erkrankt, wobei der erste Brustkrebs vor dem 51. Lebensjahr aufgetreten ist
- in der engeren Familie gibt / gab es einen an Brustkrebs erkrankten Mann, unabhängig vom Alter
- mindestens drei Familienangehörige sind / waren an einem Darmkrebs oder Gebärmutterkrebs (Lynch Syndrom)
Eierstockkrebs und Hoch-Risiko-Gene
Am besten erforscht sind die Risiken bei Trägerinnen von mutierten BRCA I- und BRCA 2- Genen. Bei etwa 10 Prozent aller Eierstockkrebserkrankungen soll ein Zusammenhang mit mutierten BRCA-Genen bestehen. Beide Gene erhöhen auch die Gefahr für Brustkrebs und für Prostatakrebs bei Männern. Das BRCA1-Gen liegt auf dem Chromosom 17q21 l, das BRCA2-Gen auf dem Chromosom 13q12-13. Die Vererbung folgt einem autosomal dominanten Erbgang; d. h. die Veranlagung wird mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 Prozent an die Nachkommen weitergegeben. Da beim autosomal-dominanten Erbgang das Geschlecht keine Rolle spielt, können sowohl Söhne als auch Mädchen das Krebsgen erben und an ihre Nachkommen weitergeben.
Erkrankungswahrscheinlichkeit für Eierstockkrebs bei Frauen mit Hoch-Risiko-Genen:
- Trägerin eines BRCA 1 Gendefekt: 40 – 50 % Erkrankungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu 0.6% Risiko einer genetisch nicht belasteten Frau)
- Trägerin eines BRCA 2 Gendefekts: 15 – 20 % Erkrankungswahrscheinlichkeit im Vergleich zu 0.6% Risiko einer genetisch nicht belasteten Frau
- Trägerin eines HNPCC Gens: (1 – 3 % der Frauen erkranken an einem Eierstockkrebs)
- Trägerin einer RAD51D- Gen- Mutation: (etwa 9 % Risiko im Vergleich zu 0.6% Risiko bei einer nicht genetisch belasteten Frau)
HNPCC- Syndrom und Krebsrisiko
Wenn Gebärmutterkrebs-, Dickdarmkrebs- und Eierstockkrebs häufiger sind, muss man auch an ein familiäres HNPCC- Syndrom = Lynch Syndrom Typ II denken. Beim Lynchsyndrom handelt es sich um eine autosomal-dominant vererbte Keimbahnmutation in einem der DNA-Mismatch-Reparaturgene (MMR). Diese führt bei Mutationsträgerinnen zu genomischer Instabilität und dadurch zu einem stark erhöhten Lebenszeitrisiko von bis zu 80 % für verschiedene Krebserkrankungen.
Etwa jede 500. Person der Allgemeinbevölkerung hat das für HNPCC typische fehlerhafte DNA-Mismatch-Reparaturgen (MMR). Je nach MMR-Mutation besteht bei ihnen ein Eierstockkrebsrisiko von 6 – 33 % (Schneider 2015, Steinke 2013). Kinder und Geschwister einer Anlageträgerin haben, wegen der autosomal-dominanten Vererbung, ein Risiko von 50 % die Genmutation zu erben.
Weiterführende Literatur zur erblichen Veranlagung für Krebs findet man im „Informationsblatt zu erblich bedingtem Eierstockkrebs“, herausgegeben vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZO) (www.patienten-information.de/kurzinformation-fuer-patienten/eierstockkrebs).
Besonderheiten bei BRCA1/2-Mutationen (für Eierstockkrebs):
- Die Krebs fördernde Wirkung beruht auf einer unzureichenden Reparatur schadhafter Gene.
- Die Mutationen werden autosomal-dominant vererbt; d. h. das Hochrisiko-Gen wird auch an männliche Nachkommen vererbt.
- Das Risiko für Eierstockkrebs beträgt, je nach zusätzlichen Einflüssen, bei einer Trägerin des BRCA1-Gens zwischen 22 und 65 %, bei einer Trägerin mit einem BRCA2-Gen zwischen 10 und 35 %.
- Die sicherste Prophylaxe bei einer BRCA1/2-Anlage ist die Eierstockentfernung (Kauff et al 2002, Meindl et al 2011).
- Erkrankte sprechen wahrscheinlich besser auf eine Chemotherapie an.
- BRCA1-Genträgerinnen erkranken häufiger auch an Gebärmutter- und Lungenkrebs. Männliche BRCA1/2-Genträger erkranken häufiger an Darm-, Bauchspeicheldrüsen- und Prostatakrebs.
- BRCA1-2-Gen-Trägerinnen erkranken etwa 10 bis 20 Jahre früher an Eierstockkrebs als nicht genetisch vorbelastete Frauen.
- Mutationen können auch „zufällig“, d. h. spontan entstanden sein, also nicht von einem Elternteil geerbt worden sein. In einem solchen Fall besteht für die Geschwister kein erbliches Erkrankungsrisiko, allerdings für die eigenen Kinder, an die die spontan entstandenen Genmutationen mit 50%iger Wahrscheinlichkeit weiter vererbt werden
Quelle und Buch-Tipp:
Hermann Delbrück ist Arzt für Hämatologie – Onkologie und Sozialmedizin sowie Rehabilitation und physikalische Therapie und Hochschullehrer für Innere Medizin und Sozialmedizin. Während seiner Laufbahn in der experimentellen, kurativen und vor allem rehabilitativen Onkologie veröffentlichte er mehrere Lehrbücher. Er ist der Herausgeber zahlreicher Ratgeber für Betroffene mit Krebs. Seit seiner Emeritierung 2007 befasst er sich vorrangig mit Fragen der Prävention von Krebs.