Experten schätzen, dass etwa 10 bis 20 % aller in den letzten 15 Jahren diagnostizierten Lungenkarzinome berufsbedingt sind. Dieser Schätzung stehen Angaben der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung gegenüber, nach denen nur 2.144 Krebsfälle in Deutschland insgesamt als „beruflich verursachte Neuerkrankung“ anerkannt wurden. Lungenkrebserkrankungen machen unter ihnen mehr als die Hälfte (52 %) aus. Allgemein geht man davon aus, dass die tatsächliche berufliche Gefährdung für Lungenkrebs wesentlich höher liegt, aber aus mehreren Gründen bislang nicht erfasst werden konnte.
Die Verursachung durch berufliche Arbeitsbedingungen wird in der Anlage der Berufskrankheiten-Verordnung (BkV) beziehungsweise in den dazu gehörigen amtlichen Merkblättern näher definiert. Es müssen ursächlich eine berufsbedingte Schädigung zugrunde liegen und bestimmte sozialrechtliche Voraussetzungen erfüllt sein. Eine Erkrankung wird als Berufserkrankung anerkannt, wenn mehr Fakten für als gegen eine berufliche Verursachung sprechen. Es gibt zahlreiche Stoffe in der Arbeitswelt, die mutagen wirken und somit Krebs auslösen können. Ihre Wirkung erhöht sich um ein Vielfaches bei gleichzeitiger Einwirkung anderer Kanzerogene. So erhöht sich das Erkrankungsrisiko bei einer ausschließlichen Asbestexposition um das Fünffache bei Nichtrauchern, bei Rauchern mit gleichzeitiger Asbestexposition hingegen um das Neunzigfache.
Berufliche Risikostoffe Lungenkrebs:
- Asbest
- Silikatstäube /Quarzstäube
- Künstliche Mineralfasern, Nickelstäube
- Chrom, Arsen, Nickel, Cadmium, Wolfram, kobaldartiger Hartmetallstaub
- Feinstaub, Luftschadstoffe
- ionisierende Strahlen, Radon, radioaktive Stäube
- Chromatgase
- Dämpfe von Speiseölen
- Dieselabgase, Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
Welche Bedeutung hat Passivrauchen am Arbeitsplatz?
Man schätzt, dass jedes Jahr in Deutschland etwa 300 Menschen infolge unfreiwilligen Mitrauchens an Lungenkrebs versterben. Man geht von einer Verdopplung bis Verdreifachung des Risikos aus, wenn sich Nichtraucher mehr als 10 Jahre in stark verrauchten Arbeitsräumen aufhalten (Stayner et al 2007). Meist kommt es bei ihnen zu sehr aggressiven kleinzelligen Bronchialkarzinomen, während bei Nichtrauchern sonst Adenokarzinome überwiegen.
In welchen Berufszweigen besteht eine Krebsgefährdung?
Asbest, Radon, Arsen, Beryllium, Cadmium, Chrom-6-Verbindungen, Nickel, die aromatischen Kohlenwasserstoffe sowie Dieselabgase sind die bekanntesten krebserregenden Schadstoffe in der Arbeitswelt. Sie fallen bei vielen gewerblichen Tätigkeiten an. Die Latenzzeit zwischen Einwirkung dieser Schadstoff und dem Ausbruch der Krebserkrankung ist sehr lang, was zum Einen den Nachweis einer Einwirkung erschwert und zum anderen die Ursache dafür ist, dass Betroffene die Gefahren häufig ignorieren. Für alle beruflich bedingten Expositionen stellt Rauchen einen erheblichen Verstärkereffekt dar, der das Krebsrisiko potenziert und die Latenzzeiten verkürzt.
Was weiß man von Asbest als Krebsrisikofaktor?
Etwa 75 % der gesamten Berufskrebsfälle sind asbestbedingt. Asbest ist ein Sammelbegriff für verschiedene faserförmige Mineralien, die beim Einatmen zu chronischen Entzündungsreaktionen (Asbestose) führen können. Auf dem Boden einer solchen Entzündung kann es zu einem Karzinom in der Lunge und/oder dem Rippenfell oder dem Bauchfell (Mesotheliom) kommen. Zusätzliche Schadstoffe – besonders inhalatives Rauchen – potenzieren das Risiko.
Asbest wurde viele Jahrzehnte wegen seiner idealen stofflichen Eigenschaften bis Ende der 1970er Jahre in ca. 3000 verschiedenen Anwendungsbereichen verwendet. Es galt als „Mineral der tausend Möglichkeiten“. Heute ist der Einsatz von Asbest in Deutschland verboten. Man benutzt stattdessen andere künstliche Mineralfasern, die angeblich nicht zu Krebs führen. Gesundheitsschädigende Wirkungen von Asbest sind seit langem bekannt. Bereits um 1900 erkannte man Asbest als Ursache für eine bestimmte Lungenkrankheit (Asbestose). Erst sehr viel später entdeckte man, dass diese „Lungenkrankheit“ nach einer Latenz von bis zu 40 Jahren zu Lungenkrebs führen kann. Seit den 1970er Jahren wird Asbest daher offiziell als krebserzeugend bewertet, und seit 1993 ist die Herstellung und Verwendung von Asbest in Deutschland verboten. 2005 erfolgte ein europaweites Verbot. In einigen Ländern, so in China, Südafrika und Kanada, wird Asbest auch heute noch abgebaut und im Baugewerbe eingesetzt.
Asbestexponierte Menschen gehören zu den Hochrisikopersonen. Die Höhe ihres Krebsrisikos und die Latenzzeit von Exposition bis Beschwerdebeginn hängen von der individuellen Reaktionsbereitschaft, der Länge der Asbestfasern und natürlich auch von der Zeitdauer der Asbestexposition ab. Rauchen hat einen erheblichen Verstärkereffekt.
Wo befindet sich Asbest?
Die winzigen Mineralfasern in Asbest waren bis Anfang der 1990er Jahre in Deutschland Bestandteil vieler Baustoffe. Asbestzement (z. B. in Westdeutschland als „Eternit®“ und „Fulgurit®“ bekannt; in der ehemaligen DDR „Baufanit“) und Spritzasbest (in der ehemaligen DDR „Neptunit“, „Sokalit“, „Baufatherm“) wurde in Fußbodenbelägen auf Kunststoffbasis und im Estrich verwendet; es diente als temperaturfester Dämmstoff, als feuerfeste Zwischenlage für Abzweigdosen, war Bestandteil von Bremsbelägen und Dichtungen und diente in Laboren als feuerfeste Unterlage. Es befand sich in Kupplungen, in Elektrogeräten, in Maschinen und technischen Anlagen, in Heizungen und vor allem im Baustoff (Asbestzement). Man findet es auch heute noch in vielen Fassadenverkleidungen, Dacheindeckungen, Wand- und Bodenbelägen, Deckenplatten, Rohrisolationen, Zwischenböden, in Platten hinter Elektroinstallationen, in Elektrospeicheröfen oder Blumenkisten. Zwar ist die Verwendung von Asbest europaweit verboten, doch findet man den krebserregenden Stoff noch immer an den verschiedensten Stellen, etwa an alten Dacheindeckungen und Außenwandverkleidungen, in Zwischenlagen unter Elektro-Abzweigdosen, in Elektrogeräten und Fußbodenbelägen. Darüber hinaus kommt es vor, dass verbotenerweise asbesthaltige Produkte aus Ländern, z. B. aus China, importiert werden, wo Asbest immer noch abgebaut und industriell verwertet wird. Gefährdet sind besonders Heimwerker und ihre Familien, die beim Sanieren oder Säubern asbesthaltiger Gebrauchsgegenstände ungewollt das gefährliche Mineral einatmen.
Welche asbesthaltigen Produkte sind besonders gefährlich?
Gesundheitsschädlich ist in erster Linie das Einatmen von Asbestfasern, die durch Abrieb oder Verwitterung freigesetzt werden. Sie dringen bis in die äußersten Lungenbläschen vor, von wo sie wegen ihrer Sperrigkeit nicht mehr ausgehustet und abtransportiert werden können. Sie können von dort ins angrenzende Bauch- und Brustfell gelangen, wo sie zu knotigen Entzündungen und schließlich zu Krebs führen.
Fachleute unterscheiden fest und schwach gebundenes Asbest. Festgebunden sind Asbestzementprodukte im Hoch- und Tiefbau (Fassaden, Wellplatten, Druck und Kanalrohre) sowie in Formwaren wie Blumenkisten, Brems- und Kupplungsbelägen (Verbund mit Harzen), Dichtungen (Verbund mit Gummi). Zu ihnen gehören als wichtigste Gruppe die unter dem Markennamen Eternit® bekannt sind. Festgebundene Asbestprodukte sind relativ ungefährlich, es sei denn, dass in ihnen die Asbestfasern durch mechanische Einwirkung freigesetzt werden. Auf das Schleifen, Bohren, Fräsen, Brechen oder Sägen stark gebundener asbesthaltiger Produkte sollte man daher verzichten. Arbeiten an schwachgebundenen Asbestprodukten (z. B. Spritzasbest, asbesthaltiger Putz, asbesthaltige Pappe) gehen mit einer hohen Krebsgefährdung einher. Die Asbestprodukte sehen faserig aus und sind daran erkennbar, dass sich ein Reißnagel leicht in sie hineindrücken lässt. Schwachgebundener asbesthaltiger Putz und leichte asbesthaltige Platten und Pappen sind meist weißgrau und relativ weich. Schwachgebundenes Asbest in Spritzasbest ist weißgrau oder graublau, in der Regel weich und lässt sich mit dem Finger leicht eindrücken. Schon bei geringer Einwirkung lösen sich die Asbestfasern aus dem Verbund und verursachen eine hohe Faserkonzentration in der Atemluft.
Gibt es Zusammenhänge zwischen einer Silikose (Quarzstaublungenerkrankung) und Lungenkrebs?
Eine Silikose wird durch Einatmen von mineralischem, insbesondere quarzhaltigem Staub, verursacht. Hierdurch kommt es zu einer Fremdkörperreaktion und zu knotenartigen Wucherungen von Bindegewebe (Granulome) im Lungengewebe, die bösartig entarten können. Lungenkrebs entsteht gehäuft im Bereich der Silikose-Narben. Potenziell sind alle Berufsgruppen gefährdet, die lungengängigen Quarzfeinstäuben ausgesetzt sind. Dazu gehören Erz- und Uranerzbergleute, Tunnelbauer, Gussputzer, Sandstrahler, Beschäftigte in der keramischen Industrie, in Dentallabors und Former in der Metallindustrie. Außerdem sind Personen gefährdet, die in der Steingewinnung und -verarbeitung tätig sind.
Welche Bedeutung haben polyzyklisch aromatische Kohlenwasserstoffen (PAK, Kokereirohgase)?
Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe entstehen bei einer unvollständigen Verbrennung organischer Substanzen. Am bekanntesten ist das Benzo(a)pyren. Die Verbrennungsprodukte stammen aus Schloten und Kohlekraftwerken, der Abfallverbrennung, Heizungen privater Haushalte, dem Straßenverkehr, der Landwirtschaft sowie beim Rauchen.
Welche Bedeutung haben Diesel- und Benzinabgase?
Abgase von Kraftfahrzeugen enthalten u. a. polyzyklische Kohlenwasserstoffe und Benzol, die eindeutig krebsfördernd sind. Abgase von Dieselfahrzeugen beinhalten zudem Rußpartikel. Das Internationale Krebsforschungsinstitut (IARC) bewertet die Emissionen von Benzinmotoren als für den Menschen „möglicherweise krebserregend“ und die von Dieselfahrzeugen als „krebserregend“. Leider hat sich nicht bewahrheitet, dass die angebliche Senkung des Stickoxyd-Ausstoßes von Dieselfahrzeugen zu einer Senkung der Stickoxidbelastungen in deutschen Städten geführt hat. Im Gegenteil die Belastungen haben eher zugenommen.
Ist die Exposition mit Chrom Krebs gefährdend?
Der Chromatlungenkrebs wurde bereits 1936 in die Berufskrankheitenverordnung aufgenommen. Eine Chromexposition findet in der Chromatproduktion, bei der Verchromung in der Metallindustrie, in Gerbereien, bei der Herstellung von Chromatpigmenten, in der Holz- und Textilindustrie statt. Cr(VI)-Verbindungen gelangen über die Atemwege in den Körper und schädigen das Lungengewebe, wo sie zu Krebs führen können.
Ist die Exposition mit Cadmium gefährdend?
Cadmium fördert die Krebsentstehung, indem es die Wirkung von Reparaturgenen hemmt. Eine relevante Cadmium-Exposition findet besonders bei der Herstellung von Nickel-Cadmium-Batterien, Cadmium- Pigmenten, der Cadmiumlegierung und in der Galvanisation statt.
Ist die Exposition mit Nickelmetallen gefährlich?
Krebsgefährdet sind vor allem die Nasenhöhlen bzw. Nasennebenhöhlen, aber auch die Lunge. Zu erhöhten Nickel-Expositionen kann es beim Schleifen und Polieren kommen, bei Schweißern, in der galvanischen Oberflächenbeschichtung, beim Mischen, Verdichten und Plasmaschneiden in der Metallbearbeitung und im Maschinenbau, sowie in der Glasindustrie.
Welche Bedeutung hat eine Exposition mit Beryllium?
Beryllium wird als Konstruktionswerkstoff in der Luft- und Raumfahrt, im Boots- und Fahrzeugbau und überall dort eingesetzt, wo Bauteile sehr leicht sein müssen und hohen Beschleunigungen und Fliehkräften ausgesetzt sind. Krebs verursachende Effekte treten bei sehr hohen Dosen auf, die an den heutigen Arbeitsplätzen aber kaum noch Verwendung finden. Gefährlich ist vor allem inhaliertes Beryllium, das zur Bildung von charakteristischen knötchenartigen Veränderungen im Lungengewebe führt (Epitheloidzellgranulome).
Quelle und Buch-Tipp:
Lungenkrebs vermeiden (Personalisierte Krebsvorsorge und Früherkennung)
Hermann Delbrück ist Arzt für Hämatologie – Onkologie und Sozialmedizin sowie Rehabilitation und physikalische Therapie und Hochschullehrer für Innere Medizin und Sozialmedizin. Während seiner Laufbahn in der experimentellen, kurativen und vor allem rehabilitativen Onkologie veröffentlichte er mehrere Lehrbücher. Er ist der Herausgeber zahlreicher Ratgeber für Betroffene mit Krebs. Seit seiner Emeritierung 2007 befasst er sich vorrangig mit Fragen der Prävention von Krebs.