Ratgeber Übergewicht und Lungenkrebs
Die Weltgesundheitsorganisation betrachtet starkes Übergewicht (Adipositas) und Bewegungsarmut als das weltweit am schnellsten wachsende Gesundheitsproblem. Sie spricht von einer Epidemie, die ebenso energisch bekämpft werden müsse wie die tödlichen Infektionskrankheiten. Gelinge es nicht, dieses nach dem Nikotinkonsum größte Krebsrisiko einzudämmen, so erwarte uns in den nächsten Jahren „ein Tsunami“ an Krebsneuerkrankungen.
Im vorliegenden Band werden die häufigsten diätetischen, medikamentösen, chirurgischen, psychologischen, apparativen und körperlich-sportlichen Abnehmeprogrammen, Empfehlungen und Ernährungsdogmen hinsichtlich ihres Nutzens und ihrer Nebenwirkungen – speziell in Bezug auf das Krebsgeschehen – analysiert und kommentiert.
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Lungenkrebs-Risiken
Risiken für Lungenkrebs (im Vergleich zur Normalbevölkerung), modifiziert nach Delbrück 2016 (X = wahrscheinlich erhöht, XX = doppelt so hoch, XXX = mehr als doppelt so hoch, XXXX = sehr hohes Risiko):
- An Lungenkrebs erkrankter Verwandter ersten Grades < 50 Jahre: X
- An Lungenkrebs erkrankte eineiige Zwillingsgeschwister: XX
- An Lungenkrebs erkrankter Verwandter ersten Grades (Raucher): XXX
- Lebenslanger Tabakabusus: XXXX
- Exraucher: XXX
- Tabakabusus (Pfeife): XX
- Tabakabusus (Zigarre): XX
- Tabakabusus (Wasserpfeife): XXXX
- E-Zigaretten ?
- Alkoholkonsum (Männer) > 50 g täglich: X
- Alkoholkonsum (Frauen) > 30 g täglich: X
- COPD/Emphysem: XXX
- Aids: XXX
- Lungenemphysem: XXX
- Chronische Bronchitis: X
- Idiopathische Lungenfibrose: XXXX
- Multiple Sklerose: X
- Ehemals Tuberkulose: X
- Angeborener Herzfehler: XX
- Asbestexposition (weicher Asbest): XXXX
- Silikose, silikotische Narben: XX
- Raucher bei Silikose: XX
- Raucher bei starker Radonexposition: XX
- Raucher und gleichzeitiger BRCA2-Genträger: XXX
- Kein Rauchabzug in der Küche: X
- Übergewicht im jugendlichen Erwachsenenalter: XX
- Zentrales Bauchfett: XX
- Körperliche Inaktivität: XX
- Passivraucher: X
- Nichtraucher, der sich mehr als zehn Jahre in stark verräucherten Arbeitsräumen aufgehalten hat: XX
- Erhöhte Luftschadstoffkonzentration, Feinstaubbelastung: XX
- Dieselrußexposition: XX
- Radon-belastete Wohnbereiche: XXX
- Niedriger sozioökonomischer Status: X
- Hormonersatztherapie bei Frauen (in und nach den Wechseljahren): X
- Beta-Carotin-Nahrungsergänzungsmittel (bei Rauchern): XX
- Längere Einnahme von hoch dosiertem Vitamin B12 und B9: X
Lungenkrebs und Schadstoffe
Radon zählt, neben Tabakkonsum und Asbest, zu den Hauptursachen für Lungenkrebs. Das radioaktive Edelgas ist in der Erde enthalten und kann durch den Untergrund in Gebäude eindringen. Die hierdurch verursachte Strahlenbelastung lässt sich durch die Einhaltung der heutigen Bauvorschriften reduzieren.
Die Feinstaubbelastung wird allgemein als wesentlicher Risikofaktor angesehen. Gesichtsmasken schützen zwar etwas, bieten jedoch letztlich ein falsches Sicherheitsgefühl, da sie die in der Luft befindlichen, krebserregenden Feinstaub-Schadstoffe kaum filtern.
Die COPD ist ein starker Risikofaktor bei Nichtrauchern. Sie wird häufig durch Rauchen ausgelöst, kann aber auch andere Ursachen haben; so z. B. einen Alpha-1-Antitrypsinmangel oder Chemikalien und Schadstoffe wie Feinstaub, denen manche Menschen am Arbeitsplatz ausgesetzt sind.
Asbest kann Lungen- und Rippenfellkrebs (Mesotheliom) auslösen. Asbest wurde in der Vergangenheit häufig als Baumaterial, zum Brandschutz und zur Isolation verwendet. Seit 1993 ist die Nutzung von Asbest in Deutschland weitgehend verboten. Dennoch stellt die Asbestbelastung nach wie vor ein hohes Risiko dar. In älteren Gebäuden findet sich noch viel Asbest als Dämm- und Isolationsmaterial. Bei der Entsorgung alter asbesthaltiger Materialien, beim Abriss oder Umbau älterer Gebäude werden die gefährlichen Fasern freigesetzt.
Bei Rauchern und Kindern mit angeborenen Herzfehlern (ebenfalls eine Hochrisikogruppe) lassen sich bereits Jahre – ja, Jahrzehnte – vor Ausbruch der Krebserkrankung, überproportional häufig Krebsvorstufen oder Mikrokarzinome feststellen. Möglicherweise werden sie bei einer zusätzlichen Insulinresistenz bzw. bei Übergewicht zum Wachstum angeregt.
Risiko Übergewicht?
Obwohl Nikotin den Stoffwechsel bei Rauchern anregt, und diese meist eher unter- als übergewichtig sind, zählt „Übergewicht“ zu den Erkrankungsrisiken. Entscheidend für das erhöhte Krebsrisiko ist allerdings weniger der BMI als die Körperfettverteilung; der Bauchumfang ist bei Rauchern häufig groß. Im Vergleich zu Personen mit hohem BMI und normalem Taillenumfang besteht bei niedrigem bis normalem BMI, aber großem Taillenumfang, ein erhöhtes Erkrankungsrisiko (Yu et al 2018). Nicht nur die Krebsentstehung wird durch das „viszerale Bauchfett“ negativ beeinflusst, sondern auch der Krankheitsverlauf. Die Krebserkrankungen sind aggressiver (Smith et al 2012, Jeffreys et al 2004, Gray et al 2011, Marshall et al 2019). Ein weiteres Argument für die Krebsgefährdung ist die Beobachtung, dass übergewichtige Kinder und Studenten später unverhältnismäßig häufig an Krebs – auch an Lungenkrebs – erkranken.
Kommentar und Empfehlungen: Die IARC/WHO geht davon aus, dass 90 % aller Lungenkarzinome vermeidbar sind (Ferlay et al 2018). In einem „Deutschland ohne Tabak“ wären 2018 nur 7000 Menschen an Lungenkrebs erkrankt, sagt das DKFZ. Tatsächlich waren es 53.000!
Hermann Delbrück ist Arzt für Hämatologie – Onkologie und Sozialmedizin sowie Rehabilitation und physikalische Therapie und Hochschullehrer für Innere Medizin und Sozialmedizin. Während seiner Laufbahn in der experimentellen, kurativen und vor allem rehabilitativen Onkologie veröffentlichte er mehrere Lehrbücher. Er ist der Herausgeber zahlreicher Ratgeber für Betroffene mit Krebs. Seit seiner Emeritierung 2007 befasst er sich vorrangig mit Fragen der Prävention von Krebs.