Genanalysen und Krebsprävention
Zur Frage einer möglichen Krebsgefährdung durch angeborene Genmutationen können Genanalysen bei „Gesunden“ hilfreich sein. Insgesamt besteht diesbezüglich aber noch großer Forschungsbedarf. Unter anderem ist problematisch, dass nur wenige Krebserkrankungen eine monogenetische Ursache haben, sondern mehrheitlich die Folge mehrerer Genstörungen sind.
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Informationen zur bestmöglichen individuellen Therapie gewinnt man aus Genomanalysen von Tumorgewebe – also von Erkrankten. In nur sehr begrenztem Umfang haben Genanalysen bei Gesunden eine therapeutische Relevanz, so z. B. bei (noch) gesunden Darm-Polypenträgern, so etwa bei Verdacht auf das Vorliegen einer familiären Adenopolyposis (FAP), dem Lynch-Syndrom (HNPCC) oder BRCA-Mutationsträgerinnen.
Genmutationen sind nicht die einzige Voraussetzung für die Entstehung und Entwicklung von Krebs. Zusätzlich bedarf es meist äußerer (epigenetischer) Einflüsse, so z. B. von solchen Lifestylefaktoren wie der Ernährung und Übergewicht. Das Paradebeispiel dafür sind die in die USA ausgewanderten Japaner. Bei ihnen hat sich die in ihrem Heimatland extrem hohe Magenkrebshäufigkeit innerhalb von nur einer Generation an das US-Niveau angepasst.
Kommentar: Ob Krebs entsteht, hängt nicht allein von strukturellen Genveränderungen (Krebsgene bzw Genmutationen) ab, sondern auch von Reparaturmechanismen und Lifestyle Faktoren. Die Ernährung und das Körperfett haben z. B. einen Einfluss sowohl auf die Aktivität von Krebsgenen als auch auf Reparaturmechanismen. Übergewicht verstärkt den Einfluss anderer Krebsrisikofaktoren.
Allgemein geht man davon aus, dass starkes Übergewicht Krebsgene aktiviert und die Aggressivität von Krebszellen angeregt wird, also ein Tumorpromotor ist.
Übergewicht: Ein mutagen wirkendes Kanzerogen?
Eine umfangreiche Literatur befasst sich mit potenziell mutagen wirkenden Substanzen in der Ernährung (Tabelle).
Täglich entstehen tausendfach genetische Veränderungen (Genmutationen), die einzig und allein durch Substanzen verursacht werden, welche aus der Umwelt stammen oder von unserem Körper selbst produziert werden. Bei manchen Mutationen handelt es sich um zufällige Fehler der DNA-Replikation. Man geht davon aus, dass 99 % dieser strukturell veränderten Gene unwirksam sind bzw. eliminiert werden.
Übergewicht zählt nicht zu den potenziell das Erbgut verändernden Karzinogenen, die Chromosomenbrüche und Genmutationen verursachen, also zu einer Veränderung der Aminosäurensequenz führen und auf diese Weise zur Krebsentstehung beitragen. Übergewicht ist nämlich „nur“ ein Krebspromotor, der latente Krebsgene aktivieren und/oder Schutzgene inaktivieren kann.
Tatsächlich ist der Einfluss von Genmutationen geringer als allgemein angenommen, was aber nicht bedeutet, dass sie bedeutungslos sind. Im Gegenteil, Veränderungen im Erbgut sind eine Vorbedingung für die Krebsentstehung. Die Mehrzahl von ihnen wird allerdings eliminiert, repariert oder funktionell inaktiviert. Nur einige wenige bleiben intakt. Und noch weniger werden aktiv, d. h. von Einflussfaktoren (epigenetisch wirkenden Tumorpromotoren) aktiviert. Mindestens ebenso gefährlich wie DNA-Mutationen sind somit Tumorpromotoren, zu denen u. a. Lifestyle-Einflüsse wie Übergewicht gehören.
Kommentar: Übergewicht ist kein klassisches Karzinogen, das sich auf die Aminosäurensequenz der Gene auswirkt. Allein verursacht es keinen Krebs, sondern nur im Zusammenwirken mit Mutationen! Das Gesamtrisiko setzt sich aus der Summe vieler kleinen angeborenen und erworbenen genetischen und epigenetischen Risiken zusammen.
Potenziell kanzerogen (strukturell = mutagen) wirkende Schadstoffe (z. B. in der Ernährung):
- Aromatische Amine (Verunreinigung durch Farbpigmente)
- Nitrate und Nitrite (durch Umwandlung in Nitrosamine)
- Pilzgifte (Aflatoxin und Patulin, z. B. in angefaulten Nüssen, faulem Obst oder verschimmelten Nahrungsmitteln)
- Dioxine (in tierischen Nahrungsmitteln)
- Perflorierte Tenside (in industriell hergestellten, organischen Verbindungen)
- Phtalate und DEHP (in Spielzeug und Kosmetika, aber auch Lebensmitteln)
- Bisphenol A (z. B. in Plastikflaschen)
- Polyzyklische, aromatische Kohlenwasserstoffe (im Rauch bzw. Fleisch beim Grillen, Rösten und Räuchern)
- Acrylamid (in stark erhitzten, stärkehaltigen Lebensmitteln)
- Chlorpropanole (bei Erhitzung von Glycerin und Lipiden)
- 3-MCPD-Fettsäureester (beim Erhitzen fett- und salzhaltiger Lebensmittel)
Übergewicht: Ein krebsfördernder epigenetisch wirkender Krebspromotor?
Übergewicht ist ein Krebspromotor, der latente Krebsgene und -zellen aktiviert, Schutzmechanismen hemmt sowie die Aggressivität von Krebszellen erhöht. Zusätzlich wirkt er auf gesundes Gewebe ein und begünstigt dort das Krebswachstum. Übergewicht schädigt nicht die DNA-Struktur, hat also keine erbgutverändernde Wirkung.
Kommentar: Der Einfluss epigenetisch wirkender Lifestyle- Einflüsse – wie Übergewicht, Bewegungsarmut, Alkohol, Stress und Psyche – auf die Entstehung und den Verlauf von Krebserkrankungen wird allgemein unterschätzt. Ihre Bedeutung für die Krebsentstehung ist längst nicht so gut erforscht wie der Einfluss von klassischen, mutagen wirkenden Karzinogenen.
Epigenetisch wirkende Tumorpromotoren, die die Gewebeinfiltration und die Aggressivität von Tumorzellen beeinflussen:
- Rauchen (wirkt sowohl mutagen als auch epigenetisch)
- Alkohol (wirkt sowohl mutagen als auch epigenetisch)
- Medikamente (können sowohl mutagen als auch epigenetisch wirken)
- Geschlechtshormone (wirken epigenetisch)
- Zytostatika und Strahlentherapie (wirken mutagen)
- Entzündungen (können sowohl mutagen als auch epigenetisch wirken)
- Insulinresistenz (wirkt epigenetisch)
- Leberverfettung (wirkt epigenetisch)
- Übergewicht (wirkt ausschließlich epigenetisch)
- Ballaststoffe (wirken ausschließlich epigenetisch)
- Vitamine (wirken ausschließlich epigenetisch)
- Immunabwehr (wirkt epigenetisch)
- Salzkonsum (wirkt epigenetisch)
- Körperliche Inaktivität (wirkt ausschließlich epigenetisch)
- Mikrobiom (wirkt epigenetisch)
- Psychisch (wirkt ausschließlich epigenetisch)
- Mechanische Faktoren (wirken epigenetisch)
- Umwelteinflüsse (Luft, Wasser, Strahlen) (können sowohl mutagen als auch epigenetisch wirken)
Möglicher Wirkmechanismus von Übergewicht als Tumorpromotor
- Fettgewebe: Entgegen früheren Vorstellungen ist Fettgewebe ein hochaktives Organ, in dem hormonähnliche Substanzen gebildet werden, die u. a. die Krebsentwicklung stimulieren. Besonders aktiv ist Bauchfett.
- Immunabwehr: Eine fettreiche Ernährung hemmt die körpereigene Abwehr.
- Geschlechtshormone: Fettgewebe wandelt Vorstufen der Sexualhormone in Östrogene um, die nach den Wechseljahren das Wachstum hormonempfindlicher Tumore stimulieren.
- Insulinresistenz: Die mit Übergewicht häufig assoziierte Insulinresistenz führt zu einer Überproduktion von Insulin, welche das Zellwachstum stimuliert und die Aggressivität von Krebszellen erhöht.
- Leberverfettung: Die bei einer Insulinresistenz und Hyperinsulinämie freigesetzten Fettsäuren gelangen in die Leberzellen, wo sie zur Leberverfettung führen und Entzündungsmediatoren produzieren, die krebsfördernd sind. Körperliche Aktivität verhindert die Entstehung einer Fettleber, hemmt Entzündungsfaktoren und reduziert somit das Krebsrisiko.
- Vitamin-D-Mangel: Fettleibige Menschen haben einen erniedrigten Vitamin-D-Blutspiegel, da bei ihnen das Vitamin D im Fettgewebe gespeichert wird. Vitamin-D-Mangel soll ein Krebsrisikofaktor sein.
- Darmflora (Mikrobiom): Übergewicht schränkt die Bakterienvielfalt (Diversität) im Darm ein, die möglicherweise die Krebsentwicklung fördert.
- Chronische Entzündungen: Fettgewebe, besonders Bauchfett, wirkt wie ein latenter Entzündungsherd, der Mediatoren produziert, die die Zellneubildung sowie die Aggressivität von Krebszellen stimulieren.
- Physikalische Reize: Der Druck von Bauchfett auf den Schließmuskel begünstigt den Rückfluss von Magensäure in die Speiseröhre. Dort kommt es zu einer chronischen Gewebeentzündung, die Genmutationen auslöst.
- Oxydativer Stress und Schwächung des Immunsystems: Der oxydative Stress bei Übergewicht führt zur Schwächung der Immunabwehr.
- Reparaturmechanismen: Fett hemmt Reparaturmechanismen und führt so zur Aktivierung von Krebsgenen und -zellen.
- Übergewichtige sind häufig inaktiv. Tierstudien bestätigen, dass inaktive Muskeln kaum wachstumshemmende Enzyme (SPARC) bilden.
- Ernährung: Übergewichtige bevorzugen häufig eine entzündungsfördernde (proinflammatorische) Ernährung, die – wie etwa Fast Food oder verarbeitete Lebensmittel – das Krebsrisiko erhöht.
- Krebsvorsorge-Früherkennung: Korpulente Menschen beteiligen sich seltener an Krebsfrüherkennungs-Maßnahmen. Außerdem ist bei ihnen die Aussagekraft der Mammografie geringer. Der PSA-Spiegel ist oft fälschlich erniedrigt. Die Erkennung eines Bauchspeicheldrüsen- oder Gallenblasentumors ist erschwert.
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Hermann Delbrück ist Arzt für Hämatologie – Onkologie und Sozialmedizin sowie Rehabilitation und physikalische Therapie und Hochschullehrer für Innere Medizin und Sozialmedizin. Während seiner Laufbahn in der experimentellen, kurativen und vor allem rehabilitativen Onkologie veröffentlichte er mehrere Lehrbücher. Er ist der Herausgeber zahlreicher Ratgeber für Betroffene mit Krebs. Seit seiner Emeritierung 2007 befasst er sich vorrangig mit Fragen der Prävention von Krebs.