Häufige Brustkrebserkrankungen in einzelnen Familien beruhen nicht unbedingt auf einer angeborenen genetischen Prädisposition, sondern können auch Folge gemeinsamer Umwelteinflüsse sein. Hierzu gehören u. a. bestimmte Ernährungsgewohnheiten und Verhaltensweisen, die manchmal über viele Generationen „vererbt“ werden und das Erkrankungsrisiko negativ beeinflussen. Hinweise, dass Brust- und Prostatakrebserkrankungen bei verheirateten Paaren häufiger vorkommen, erklären sich in erster Linie mit dem gleichen Lifestyle der Partner. Grundsätzlich gibt es verschiedene Ansatzpunkte, über die Ernährung in die verschiedenen Phasen der Krebsentwicklung eingreifen kann. So können Kanzerogene in der Ernährung oder geschädigte Reparatursysteme Genmutationen auslösen.
Auch können Verunreinigungen, Viren, Benzpyrene, polyzyklische und aromatische Kohlenwasserstoffe bei der Nahrungszubereitung Genmutationen verursachen. Direkte strukturelle Einwirkungen auf das Erbgut sind allerdings unwahrscheinlicher als Anreize zum Wachstum und zur Gewebeinvasion von Krebszellen. Je nach Ernährungsweise kommt es zur Begünstigung oder Hemmung des Krebswachstums (Strom et al. 2008). Entgegen der volkstümlichen Vorstellung und unzähliger Berichte der Laienpresse wissen wir aber viel weniger über Krebs hemmende als über Krebs fördernde Einflüsse der Ernährung.
Sind Zusammenhänge von Ernährung und der Entstehung von Brustkrebs eindeutig?
Einflüsse der Ernährung sind zwar wahrscheinlich, aber objektiv schwer nachzuweisen. Dies liegt daran, dass sich der Einfluss der „Ernährung“ nur schwer von anderen Risiken unterscheiden lässt. Dass z. B. Brustkrebs bei Adventisten seltener ist als bei anderen Bevölkerungsgruppen, liegt nicht nur daran, dass diese sich vegetarisch ernähren, sondern auch, dass sie schlanker und körperlich aktiver sind, auf Alkohol und Rauchen verzichten und insgesamt gesundheitsbewusster leben. Brustkrebs fördernde Einflüsse haben ungleiche Auswirkungen zu unterschiedlichen Zeitpunkten. Brustkrebs entsteht nicht von heute auf morgen. Von der Entstehung erster Krebszellen bis zum Ausbruch der Erkrankung dauert es viele Jahre, in denen sich das Ernährungsverhalten häufig ändert. Es gibt unzählige epidemiologische Studien, die sich mit dem Einfluss der Ernährung befasst haben und vorgeben, Ursachen festzustellen. Dabei können epidemiologische Untersuchungen lediglich Assoziationen und Risikofaktoren identifizieren, nicht jedoch kausale Gemeinsamkeiten feststellen. Wenn überhaupt, zeichnen sich in den meisten Studien lediglich statistisch nicht signifikante Tendenzen bei der Nahrungsmittelauswahl, der Nahrungszubereitung und dem Ernährungsverhalten ab. Um die Aussagefähigkeit von einzelnen Studien zu beurteilen, sollte man bei ihnen bestimmte methodische Aspekte und Behauptungen hinterfragen.
Welche Bedeutung hat die EPIC-Studie? Welche Schlussfolgerungen erbrachte sie bislang?
Zur Frage möglicher Zusammenhänge von Krebs und Ernährung sind in den letzten Jahren einige quantitativ und qualitativ aufwändige, prospektive und kontrollierte Studien durchgeführt worden, die erhebliche Korrekturen von Vorstellungen und Schlussfolgerungen älterer Studien nach sich zogen. Zu nennen ist hier die EPIC-Studie (EPIC = European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition), die seit 1989 bei mehr als 500.000 Gesunden in verschiedenen Ländern Europas durchgeführt wird (Van Gils et al. 2005, Riboli 2001, Bofetta et al. 2010). Sie enthält wesentliche Daten des Lebensstils, darunter Detaildaten zum Körpergewicht, zur körperlichen Aktivität, zur Ernährung, zum Tabak-/Nikotinabusus, zum Alkoholkonsum und den im Studienverlauf auftretenden Erkrankungen (http://epic.iarc.fr). Generell zeichnet sich in der – 2015 noch nicht beendeten – Studie ab, dass kaum eine der früheren Behauptungen zur Ernährung zuverlässig untermauert war. Sie ergab, dass einige Ernährungsfaktoren in ihrer Wirkung überschätzt, andere unterschätzt, manche auch völlig falsch eingeschätzt wurden. Sie misst insgesamt den Einflüssen der Ernährung auf die Krebsentstehung eine geringere Bedeutung bei als frühere Studien, bestätigt aber auch manche der schon lange gemachten Beobachtungen, Vermutungen und Empfehlungen (Bofetta et al. 2010). Detailliertere Erkenntnisse wird voraussichtlich die 2015 begonnene bundesweite Gesundheitsstudie bringen, in der über viele Jahre der Lebensstil, das Gesundheitsverhalten und die Krankheiten bei 200.000 Bundesbürgern dokumentiert werden.
Beeinflusst Übergewicht das Krebsrisiko?
Noch vor wenigen Generationen war das Essen für die Mehrheit der Bevölkerung knapp, der Kampf um das tägliche Brot beherrschte den Alltag. Dies hat sich verändert. Zumindest in Deutschland ist nicht Untergewicht, sondern Übergewicht der Hauptgrund für zahlreiche chronische Erkrankungen, zu denen auch Krebs zählt. Negative Einflüsse von Übergewicht auf die Entwicklung von Brustkrebs sind in vielen Beobachtungsstudien dokumentiert. Ein eindeutig erhöhtes Krebsrisiko haben jedoch nur stark übergewichtige Frauen (BMI > 30), und dies nur nach den Wechseljahren. Bei ihnen ist das Erkrankungs- und auch Sterberisiko um etwa ein Drittel höher als bei gleichaltrigen, normalgewichtigen Frauen (Neuhouser 2015, Sparano et al. 2012, Van Gils et al. 2005). Allerdings gibt es auch massiv übergewichtige Frauen („happy obese“), die weder zu Diabetes, Herzerkrankungen noch zu Brustkrebs neigen. Ursächlich nimmt man bei ihnen eine bestimmte Enzymausstattung an (verminderte Hämoxygenase-1), die dazu führt, dass es nicht zu einer Insulinresistenz und auch nicht zu einer Fettbildung in der Leber kommt.
Kaum Bei jungen übergewichtigen Frauen ist das Erkrankungsrisiko weniger eindeutig als bei älteren. Manche Autoren bestreiten bei ihnen sogar ein höheres Erkrankungsrisiko; ja behaupten, dass Übergewicht ein Schutzfaktor sei. Als gesichert gilt jedoch, dass, einmal erkrankt, der Brustkrebs auch bei jungen adipösen Frauen ungünstiger verläuft. Inflammatorische und Rezeptor-negative Tumore, die schlecht auf die Therapie ansprechen, sind häufiger (James et al. 2009, Monninkhof et al. 2007, Siegmund-Schultze 2009, Baer et al. 2010, Hauner et al. 2011.Chan et al. 2014).
Fördert eine fetthaltige Ernährung das Brustkrebsrisiko?
Befürworter der Fetthypothese als Risikofaktor weisen darauf hin, dass in Japan und in China, wo die Ernährung wenig tierische Fette enthält, Brustkrebserkrankungen wesentlich seltener sind als in Deutschland. Hier werden im Durchschnitt 36 % der Gesamtenergie in Form von Fetten überwiegend tierischen Ursprungs (Fleisch, Wurst, Eier, Fette, Milch, Käse) aufgenommen. Auch das NordSüd-Häufigkeitsgefälle von Brustkrebserkrankungen in Europa erklärt sich möglicherweise hiermit. Tierische Fette dominieren die Ernährung in Nord-, ungesättigte hingegen in Südeuropa. In der EPIC-Studie stellte man ein gering erhöhtes Erkrankungsrisiko bei hohem Konsum gesättigter Fettsäuren (tierischer Fette) fest (OR = 1.2). Erklärt wird die erhöhte Krebsgefährdung u. a. damit, dass eine fettreiche Ernährung zu einer Erhöhung des Anteils freier Fettsäuren im Blut führe und es hierdurch zu einer Insulinresistenz mit erhöhter Insulinausschüttung komme, die die Krebszellen zum Wachstum anregen. Zwar ist nicht sicher belegt, ob Transfette (industrielle Fette) tatsächlich zu Diabetes, hohem Blutdruck, Allergien und zu einem größeren Krebsrisiko führen, jedoch sprechen hierfür immer mehr Beobachtungen. Die amerikanische Bundesbehörde für Lebens- und Arzneimittelsicherheit (FDA) hat daher 2015 für Restaurants ein Verbot der Transfette verhängt. Die Lebensmittelindustrie hat dort drei Jahre Zeit, um danach vollständig auf industriell veränderte Fette zu verzichten. In mehreren Ländern gibt es ähnliche Verbote, hierzulande noch nicht. In Deutschland achtet die Industrie aber schon seit einigen Jahren darauf, dass bei der Lebensmittelproduktion nicht mehr so viele Transfette verwendet werden. Die DGE empfiehlt weniger als 1o % des Energiebedarfs durch gesättigte und weniger als 1 % durch Transfette zu decken. Sie rät wegen der möglichen Gesundheitsgefährdung zur Zurückhaltung beim Verzehr von Pommes, Chips, Gebäck, Süßwaren und Fertiggerichten.
Ist Fleisch krebsfördernd?
Ein häufiger Verzehr von rotem Fleisch soll die Entwicklung von Brustkrebs fördern. Geflügelfleisch sei hingegen ungefährlich, ja möglicherweise sogar krebsmindernd (RR = 0.73), lauten die Schlussfolgerungen einer prospektiven Kohortenstudie bei mehr als 88.000 Krankenschwestern (RR = 1.20) (Nurses Health Study) (Farvid et al. 2014). Sehr viele Experten schließen sich den Schlussfolgerungen dieser Studie an und weisen auf Krebs fördernde Einflüsse einer fleisch- und fettreichen Ernährung hin. Als Beweis führen sie u. a. die wesentlich selteneren Brustkrebserkrankungen in Japan und China an, wo mehr Gemüse konsumiert wird und der Anteil tierischer Fette in der Ernährung unter 20 % liegt. Europäer essen vier- bis elfmal so viel tierisches Eiweiß in Form von Fleisch, Wurst, Käse, Milch, Eier und Fisch wie Chinesen. Es ist allerdings unklar, ob nicht eher die Zubereitung des Fleisches (roh, medium, well done) bzw. die Art der Verarbeitung entscheidend sind. In den Schlussfolgerungen der EPIC Studie wird auf die besonderen Gefahren von verarbeitetem Fleisch hingewiesen. Unter verarbeitetem Fleisch versteht man Fleischprodukte, deren Haltbarkeit verlängert, sowie Geschmack und Aussehen verändert wurden. Beim Schinken, Speck, Salami, Chorizo, Wurst, Peperoni ist dies häufig der Fall. Dass Fleisch selber Brustkrebs verursacht, gilt als unwahrscheinlich. Eher ist es das Fett im Fleisch, das das Wachstum von Krebsvorstufen und latenten Karzinomen stimuliert. Einige Experten verweisen auf die oft erhöhte IgF-1(Insulin like Growth Factor)-Konzentration im Blut, die zu einem „oxydativen Stress“ durch freie Radikale führe und auf diesem Wege das Krebswachstum fördere.
Sind Süßstoffe krebsfördernd?
Lange Zeit wurden künstliche Süßstoffe wie Aspartam, Cylamat, Saccharin mit diversen Gesundheitsgefahren, so auch mit Krebs in Verbindung gebracht. Ausführliche Untersuchungen widerlegten jedoch die Verdächte. Auch ein indirekt fördernder Einfluss über den Insulinspiegel wurde ausgeschlossen. Süßstoffe regen nicht die Insulinsekretion an. Süßstoffen, besonders den synthetischen Süßstoffen, wird häufig vorgeworfen, dass sie appetitanregend wirken, indirekt Übergewicht begünstigen, die Glukosetoleranz verschlechtern und so Typ2-Diabetes fördern. Auch hierfür gibt es keine Belege. Auch gibt es keinerlei Nachweise dafür, dass „Naturprodukte“ weniger negative Wirkungen haben als die anderen bei uns zugelassenen „synthetischen“ Süßstoffe. Allerdings liegen zu Steviosid – dem süßenden natürlichen Glykosid-Gemisch aus der Stevia-Pflanze – bislang die wenigsten Sicherheitsdaten vor, da Stevia erst seit Ende 2011 in der Europäischen Union zugelassen ist.
Ist Alkohol ein Risiko?
Während man früher davon ausging, dass Frauen nach den Wechseljahren gefährdet sind und Alkoholkonsum bei Teenagern eher zu gutartigen Gewebeveränderungen führt, gehen heute Experten davon aus, dass Alkoholmetaboliten schon wesentlich früher, nämlich in den Jahren der Brustentwicklung, wie Karzinogene wirken. Nach den Wechseljahren hingegen soll Alkohol wie ein Tumorpromotor wirken, der die Entwicklung schon bestehender latenter Karzinomzellen zu invasiven Karzinomen begünstigt. Mehrere Beobachtungsstudien weisen auf einen Zusammenhang von Alkoholkonsum und dem Brustkrebsrisiko hin. Selbst moderate Mengen sollen das Erkrankungsrisiko erhöhen, wobei besonders die Entstehung Hormonrezeptor-positiver Tumoren begünstigt wird. Die EPIC-Studie geht davon aus, dass bei 5 % aller Brustkrebserkrankten nach den Wechseljahren in Europa ein Zusammenhang mit Alkohol besteht. In England werden sogar 13 % aller Brustkrebserkrankungen auf Alkoholeinfluss zurückgeführt. Als Faustregel gilt: Pro zehn Gramm Alkohol täglich steigt das Erkrankungsrisiko um sieben bis zehn Prozent. Sicher ist, dass Alkohol ein starkes Kokarzinogen ist. Bei gleichzeitigem Alkohol- und Zigarettenkonsum potenziert sich das Erkrankungsrisiko (Seitz et al. 2006, Colditz et al. 2012, Longnecker 1994, Seitz & Mueller 2009, Baan et al. 2007, Boffetta et al. 2006, Bagnardi et al. 2013, Ying et al. 2015). Ausführlicheres zum negativen Einfluss von Alkohol enthält das Kapitel „Lebensstil und Lebensgewohnheiten als Risiko“.
Quelle und Leseempfehlung zur Brustkrebsvorsorge:
Brustkrebs vermeiden (Personalisierte Krebsvorsorge und Früherkennung)
Hermann Delbrück ist Arzt für Hämatologie – Onkologie und Sozialmedizin sowie Rehabilitation und physikalische Therapie und Hochschullehrer für Innere Medizin und Sozialmedizin. Während seiner Laufbahn in der experimentellen, kurativen und vor allem rehabilitativen Onkologie veröffentlichte er mehrere Lehrbücher. Er ist der Herausgeber zahlreicher Ratgeber für Betroffene mit Krebs. Seit seiner Emeritierung 2007 befasst er sich vorrangig mit Fragen der Prävention von Krebs.