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Auswirkungen von Alkohol auf das Krebsrisiko?

Seit geraumer Zeit warnen die Medien vor einem erhöhten Krebsrisiko durch Alkohol. Je höher der Alkoholkonsum ist, desto größer sei das Erkrankungsrisiko, sagen sie. Sie berufen sich auf „Experten“, nach deren Meinung schon ein einziger Tropfen Alkohol Krebs verursache. Allerdings sei die Krebsgefahr unterschiedlich hoch von einem Organ zum anderen und sei abhängig vom Geschlecht, dem Alter, diversen Begleitfaktoren und der individuellen Veranlagung. Diesen Behauptungen steht wiederum die Ansicht derjenigen „Experten“ gegenüber, die behaupten, dass Alkohol – was die Krebsgefahr betrifft – harmlos sei. Ja, einige meinen sogar, dass mäßiger Alkoholkonsum das Krebswachstum hemme.

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Tatsache ist, dass die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) bereits 2012 offiziell in einer fast 500-seitigen Monographie auf eine mögliche Krebsförderung durch Alkoholkonsumhinwies. Sie stufte allerdings nicht den reinen Alkohol, sondern den Alkohol-Metaboliten Acetaldehyd in die Klasse 1-Karzinogene ein. In dieser Klasse befinden sich, neben Asbest, Busulfan, Formaldehyd und Plutonium, Holzstaub, Lederstaub, neuerdings auch Wurst und Schinken. Auch andere namhafte Gesundheitsbehörden wie die WHO und Krebsforschungszentren wie der World Cancer Research Fund International weisen auf die Krebsgefahr im Mundraum, dem Rachen, dem Kehlkopf, der Speiseröhre, dem Darm, der Leber und – besonders – der weiblichen Brust hin. Inzwischen geht man von einem mehr oder minder großen direkten und/oder indirekten Einfluss von Alkohol bei den meisten Krebskrankheiten aus.

Die Deklarierung als krebsverursachende Substanz beruht auf Mutagenitätsstudien, bei denen eine Schädigung der Erbsubstanz durch Acetaldehyd bei der Aufnahme über die Atmung festgestellt wurde. Ausschlaggebend für die WHO-Einstufung von Alkohol als „krebserregend für den Menschen“ waren die Ergebnisse einer epidemiologischen Studie bei Arbeitern, bei denen nach einer Formaldehyd Exposition eine erhöhte Sterblichkeit durch Tumoren des Nasen-Rachenraumes festgestellt wurde.

Kommentar:. Das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung) vermeidet bislang eine offizielle Deklaration von Alkohol als krebsverursachendes Agens, bestätigt aber eine Förderung des Erkrankungsrisikos. Die Polymorbidität von Alkoholkranken sowie die Komplexität der möglicherweise krebsverursachenden und krebsfördernden Begleiteinflüsse (bzw. die unterschiedliche Empfindlichkeit der menschlichen Organe) machen eine Abschätzung des Schuldanteils von Alkohol an der Krebsentwicklung schwierig, sagt das BfR. Es rät dazu, alkoholische Getränke allenfalls in Maßen und nicht täglich zu trinken.

Gibt es einen Schwellenwert von Alkohol für das Krebsrisiko?

Experten tun sich mit der Angabe eines Schwellenwertes schwer, unterhalb dem ein Alkoholkonsum  risikoarm oder gar harmlos ist. International verbindliche Richtlinien für eine unbedenkliche Höchstmenge von Alkohol gibt es nicht. Es kann sie auch kaum geben, weil die Schwellenwerte im Straßenverkehr, bei der Arbeit, in der Schwangerschaft, bei der Arbeit von Organ zu Organ unterschiedlich ausfallen. Als allgemein gesichert gilt, dass der Schwellenwert bei Frauen niedriger liegt und, dass dieser bei Menschen mit zunehmendem Alter sinkt, weil die Körperzellen Flüssigkeit nicht mehr so gut speichern können.

Für Krebsrisiken gibt es nur Erfahrungswerte und Empfehlungen, die im Übrigen von Land zu Land schwanken (Mons et al 2018, Rehm et al 2014). Manche Länder geben überhaupt keine Werte an, andere Länder nennen Maße, die sich von denen anderer Länder stark unterscheiden. Oder sie verweisen auf Angaben von Wissenschaftlern, nach denen bereits ein Tropfen Alkohol das Risiko für bestimmte Krebserkrankungen erhöhen kann (IARC 2012, Seitz 2007, World cancer research fund 2018).

Die unterschiedliche Risikoeinschätzung bei Menschen ist deswegen nicht verwunderlich, weil nicht nur der Alkohol- bzw. der Acetaldehydgehalt zählen , sondern auch Begleitfaktoren einzubeziehen sind, die die Aktivität und Aggressivität der „Alkohol Gene“ und der „Krebsgene“ beeinflussen. Je nach Ethnie, nach Erbanlage, nach Geschlecht, Alter, Ernährungszustand, BMI, Bewegungsaktivität fallen diese Begleitfaktoren (Promotoren) unterschiedlich stark ins Gewicht.

Die meisten Krebsexperten gehen heute daher davon aus, dass es keinen risikofreien Alkoholkonsum, sondern nur einen mehr oder weniger bedeutsamen, risikoarmen Alkoholkonsum gibt. Vieles spricht dafür, dass jeder Mensch individuell unterschiedlich einflussreiche Krebspromotoren und dominante „Alkohol Gene“ hat, die sein Erkrankungsrisiko verstärken oder vermindern. 

Krebs und ebenso die Alkoholkrankheit sind keine monokausalen Erkrankungen. Sie entstehen nur dann, wenn mehrere Risiken zusammenkommen, wenn mehrere „Krebs- und Alkohol Gene“ mit erworbenen Einflüssen interagieren und/oder Reparaturmechanismen geschwächt oder überfordert sind. Einen global verbindlichen Schwellenwert bzw. eine exakte Risikoberechnung kann es auch schon allein deswegen nicht geben, weil Alkohol von jedem Menschen, von einem Organ zum anderen, je nach Alter und Begleitumständen unterschiedlich vertragen wird und unterschiedlich wirkt. So ist z. B. das Gewebe weiblichen Brust vor den Wechseljahren wesentlich weniger empfindlich als nach den Wechseljahren. Nach den Wechseljahren wirken sich schon kleine Alkoholmengen negativ auf das Brustkrebsrisiko aus, wohingegen vorher die gleiche Menge eher die Entstehung gutartiger Gewebsneubildungen fördert (Allen et al 2009, Seitz 2009).

Kommentar und Empfehlungen: Angaben wie „Risikoarmer Konsum“, „riskanter Konsum“, „gefährlicher Gebrauch“, “schädlicher Gebrauch“ sollten nicht aus dem Zusammenhang isoliert benutzt, sondern nur im Zusammenhang mit den Begleitumständen benutzt werden. 

Zusammenhänge zwischen der Höhe des Alkoholkonsums und einer Krebserkrankung sind zwar sehr wahrscheinlich, aber objektiv schwer nachzuweisen. Als gesichert gilt lediglich, dass Acetaldehyd karzinogen wirken kann und dass Alkohol die krebsverursachende Wirkung bestimmter Karzinogene erhöht. Metaanalysen zeigen auch, dass ein leichter bis moderater Alkoholkonsum je nach Begleitfaktoren und je nach Organ das Krebsrisiko nicht nur erhöhen, sondern auch senken kann.

Sicher ist, dass Alkoholabstinenz mit dem geringsten Erkrankungsrisiko einhergeht und hoher Alkoholkonsum auf Dauer ungesund ist.

Die WHO hält den Konsum von weniger als 24 g Reinalkohol pro Tag für Männer (z. B. zwei Glas Bier à 0,3l) und 12g Reinalkohol pro Tag für Frauen (z. B. ein Glas Bier à 0,3l) für risikoarm. Zusätzlich sollte man sich allerdings an mindestens zwei Tagen pro Woche abstinent verhalten. Hierbei handelt sich um Werte, bei denen der krankheitsvorbeugende, schützende Charakter des Alkohols weitgehend ausgeschöpft ist und nachteilige Konsequenzen unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen sind. Wer unterhalb dieser Vorgaben aus Genuss gelegentlich ein Glas Rotwein trinkt, muss sich keine Sorgen um die Gesundheit machen. Das bedeutet aber noch nicht, dass er seiner Gesundheit  damit etwas Gutes tut.

Die Schätzungen, ab denen Alkohol das Krebsrisiko erhöht, wurden in den letzten Jahrzehnten immer weiter nach unten korrigiert. Die Empfehlungen der Gesundheitsorganisationen haben sich dem angeglichen. Der Begriff „risikoarm“ weist darauf hin, dass es einen völlig risikofreien Alkoholkonsum nicht gibt.

Jedes Organ ist unterschiedlich alkohol-empfindlich. Sehr empfindlich ist die weibliche Brust, bei der nach den Wechseljahren bereits bei der Aufnahme von zehn Gramm ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs besteht. Für das individuelle Krankheitsrisiko bedeutsam sind zudem weitere Risikofaktoren wie Rauchen, Übergewicht, Cholesterinspiegel, Bewegungsmangel oder bestehende Erkrankungen (Typ-e -Diabetes, chronische Lebererkrankungen, Bluthochdruck etc.) sowie eine genetische Prädisposition.

Kritische Bewertung von Studien zum Einfluss von Alkohol auf das Krebsrisiko?

Es gibt viele Studien, die sich mit dem Einfluss von Alkohol auf die Entstehung und den Verlauf von Krankheiten, so auch von Krebs, befassen. Mehrheitlich handelt es sich bei ihnen um Beobachtungsstudien, deren Aussagen und Empfehlungen mit Vorsicht eingeschätzt werden müssen.  Im Optimalfall weisen sie auf Korrelationen, nicht aber auf Kausalitäten hin. Sie stellen bestenfalls eine Diskussionsgrundlage für die Hypothese dar, dass Alkoholkonsumenten häufiger an bestimmten Krankheitsbildern erkranken. Diese Hypothesen sind aber noch kein Beweis für eine Kausalität, denn Alkoholkonsum allein reicht in den seltensten Fällen für die Entstehung einer Krebserkrankung aus, sondern in der Regel bedarf es zusätzlicher krebsfördernder Einflüsse (z. B. Rauchen oder eine genetische Disposition oder Begleiterkrankungen etc.). Alkohol ist – wenn überhaupt – immer nur ein Einflussfaktor unter vielen anderen.

Viele Empfehlungen beruhen auf Ergebnissen methodisch unterschiedlicher Studien, die sich nur schwer vergleichen lassen. Teilweise widersprechen sie sich sogar. Häufig wird in ihnen nicht zwischen Wein, Bier, Branntwein und Schnaps, regelmäßigem und langdauerndem Alkoholkonsum, starkem und mäßigem Alkoholkonsum sowie lokalisierten und ausgedehnten Tumoren, latenten und aggressiven Karzinomen unterschieden. Oft wird in ihnen der Alkoholkonsum nur punktuell erfasst, obgleich sich dieser im Laufe der Zeit ändern kann. Alkoholkonsum in der Kindheit und Jugend hat z. B. einen anderen Einfluss als im Erwachsenenalter.

Zahlreiche „Evidenz basierte Studien“, weisen auf gesundheitliche Folgestörungen nach hohem und regelmäßigem Alkoholkonsum hin. Ob moderater Alkoholkonsum tatsächlich weniger gefährlich ist (ja möglicherweise sogar gesundheitliche Vorteile hat) ist umstritten.

Während sich der Erfolg einer Krebsvorsorge-Früherkennung (bzw. der einer Chemo- oder Hormontherapie) relativ einfach feststellen lässt, ist dies beim Alkoholkonsum wesentlich schwieriger. Das liegt an der Vielschichtigkeit von Lifestylefaktoren (wie dem Alkoholkonsum) und der Komplexität der Entstehungsursachen von Krebs, der sich häufig erst Jahrzehnte nach der Einwirkung manifestiert. Viele zusätzliche, endogene und exogene Einflüsse sind bei der Frage zu berücksichtigen, ob, wann und wie Alkohol das Krebsrisiko beeinflusst.

Kommentar: Die meisten Experten gehen davon aus, dass – wenn überhaupt – Effekte weniger dem Alkohol selber als den aus der Trauben Schale stammenden Inhaltsstoffen zu verdanken sind.

Ergebnisse von Studien, in denen nicht zwischen akutem und chronischem Alkoholkonsum, zwischen niedrigem, mäßigem und hohem Alkoholkonsum, zwischen angeborenen und im späteren Leben erworbenen Einflussfaktoren unterschieden wird, haben keine Aussagekraft.

Die Qualität vieler Untersuchungen zum Einfluss des Alkoholkonsums auf das Krebsgeschehen hält wissenschaftlichen Ansprüchen nicht stand.

 Hypothesen zur Krebsförderung durch Alkoholkonsum

Wie genau Alkohol die Krebsentstehung beeinflusst, ist nach wie vor Gegenstand von Hypothesen. Vermutet werden zwei Wirkmechanismen, nämlich eine direkte (krebsverursachende = mutagene) und eine indirekte (krebsfördernde) Verursachung.

Zur direkten (mutagenen) Wirkung von Alkohol

Karzinogene führen zu Mutationen von Genen, die wiederum zu einer bösartigen Entartung einer Zelle führen können. In der Regel bedarf es hierzu allerdings zusätzlicher krebsfördernder Einflüsse wie z. B. Alkohol (Heikenwälder, H und M. Heikenwälder 2019). Alkohol selber ist kein Karzinogen im klassischen Sinne. Eindeutig karzinogen ist hingegen Acetaldehyd, ein Abbauprodukt von Alkohol. Acetaldehyd ist sehr reaktionsfreudig und geht leicht Verbindungen mit anderen Molekülen ein, so auch mit der DNA. Insofern ist Alkohol „lediglich“ indirekt krebsverursachend  bzw. ist krebsfördernd.

Alkohol wird teilweise schon in der Mundschleimhaut, im Rachen und der oberen Speiseröhre zu Acetaldehyd umgewandelt, weswegen Alkoholiker überproportional häufig an einem Krebswachstum in diesem Bereich erkranken. Direkt genschädigend sind Obstschnäpse und Trester, weil in ihnen von vorneherein viel Acetaldehyd enthalten ist. Das Acetaldehyd verleiht ihnen einen typischen, von Vielen geschätzten Geschmack.

Bei Schleimhautentzündungen, schlechter Mundhygiene und vor allem bei Rauchern erhöht sich das alkoholbedingte Erkrankungsrisiko. Es liegt dann eine Kokarzinogenese vor , denn Tabakrauch wirkt ebenfalls mutagen. Hinzu kommt, dass die Bakterien, speziell in der Mundhöhle und dem Verdauungstrakt, auch Acetaldehyd produzieren.

Ein großer Anteil des konsumierten Alkohols wird im Dünndarm resorbiert. Von dort gelangt er sofort (oder über die Leber, bzw. die Portalvene) in den Blutkreislauf. In der Leber wird ein Großteil zu Acetaldehyd abgebaut. Möglicherweise ist das mit ein Grund für das relativ hohe Leberkrebsrisiko bei Alkoholikern.  

Kommentar: Reiner Alkohol ist im Gegensatz zu Acetaldehyd kein mutagen wirkendes Karzinogen, das Chromosomenbrüche und Genmutationen verursacht und somit zu einer Veränderung der Aminosäuren-Sequenz führt. Alkohol ist allerdings ein starker Krebsaktivator, der die Genexpression erhöht und somit die Aggressivität von Kanzerogenen, Krebsgenen und Krebszellen verstärkt. Das Risiko an einem Krebs im Mund- und Rachenraum zu erkranken, ist bei Rauchern, die zusätzlich regelmäßig Alkohol trinken, 100-fach höher als bei Abstinenzlern.

Alkohol beeinflusst somit die Krebsentwicklung auf zwei Wegen, nämlich zum einen auf direktem Wege über seinen Metaboliten Acetaldehyd und zum anderen indirekt auf epigenetischem Wege über seine Eigenschaft als Promotor (Krebsaktivator). Epigenetisch nennt man Einflüsse, die die Aktivität eines Gens und damit die Entwicklung einer Zelle bestimmen, ohne Veränderungen der Desoxyribonukleinsäuren-Sequenz (DNS) zu verursachen, etwa durch Mutation oder Rekombination.

Der Einfluss mutagen wirkender Substanzen auf die Krebsentstehung ist geringer als allgemein angenommen, was aber nicht bedeutet, dass er belanglos ist. Im Gegenteil, Genmutationen sind eine Vorbedingung für die Krebsentstehung; sie bedürfen aber häufig zusätzlich dauerhaft wirkender Promotoren (Aktivatoren), die ihre Bösartigkeit unterstützten. Zu Letzteren zählt Alkohol.

Direkt mutagen wirkende Faktoren

Zur indirekten Wirkung von Alkohol als Verstärker (Promotor, Aktivator)

Promotoren bzw. Aktivatoren sind Einwirkungen, die zu funktionellen Veränderungen der Gene führen, eine Aktivitätssteigerung bewirken und/oder die Aggressivität steigern.

Täglich entstehen viele tausend Genmutationen. Sie werden durch Substanzen verursacht, die unser Körper selbst produziert oder aus der Umwelt stammen, die teilweise ererbt oder zufällige Fehler der DNA-Replikation sind. In der Regel sind sie inaktiv und bleiben ohne Folgen. Die meisten werden durch verschiedene Reparaturmechanismen repariert oder eliminiert. Gefährlich werden sie erst durch Aktivatoren. Zu ihnen gehören bestimmte Promotoren wie Lifestylefaktoren, so auch Alkohol. Je nach Organ und zusätzlichen Einflüssen ist die Verstärkerwirkung von Aktivatoren wie Alkohol stärker oder schwächer (Schütze et al 2011, Boffetta et al 2006, Bagnardi et al. 2013).

Die Identifizierung von indirekt krebsfördernden Einwirkungen von Aktivatoren wie Alkohol ist – verglichen mit den direkt wirkenden Karzinogenen – schwierig. Ihre Beschaffenheit und Wirkungsweise können sehr verschieden sein (Heikenwälder 2019).

Kommentar: Wenn allgemein von „krebserzeugenden“ Substanzen die Rede ist, denkt man primär an Substanzen, die strukturelle Veränderungen der Erbinformation verursachen. Mindestens ebenso entscheidend sind aber indirekte Einflüsse durch Promotoren (Aktivatoren). Viele Genschäden sind erst dann gefährlich, wenn zusätzliche „Promotoren“, wie etwa Alkohol, auf sie einwirken.

Krebspromotoren können Prozesse (pathway events) wie jene der Signalübertragung und der DNA-Reparatur aktivieren oder inaktivieren, beschleunigen oder verlangsamen. Sie sind wie Schalter, die die Expression von Krebsgenen an- oder ausschalten. Sie bestimmen, ob sich Krebszellen in ihrer Mikroumgebung einen Wachstumsvorteil verschaffen oder nicht. Latente Krebszellen werden aktiviert, Schutzmechanismen inaktiviert, die Mikroumgebung im Sinne einer Begünstigung der Krebsausbreitung beeinflusst. Aktivierte Krebsgene erhöhen die Invasionsbereitschaft des Gewebes, so dass sich Karzinomzellen leichter ausbreiten können.

Die Bedeutung von Krebspromotoren für die Krebsentwicklung ist längst nicht so weit erforscht wie jene der klassischen, mutagen wirkenden, Karzinogene. Ihre Funktion als Bindeglied zwischen Erb- und Umwelteinflüssen wurde lange unterschätzt.

Alkohol als Krebspromotor. Hypothesen zur (indirekten) Krebsförderung durch Alkohol.

  • Alkohol stärkt und aktiviert Krebsgene und erhöht somit deren Aggressivität.
  • Alkohol verstärkt die chemisch oder physikalisch induzierte Karzinogenese.
  • Alkohol hemmt Repairmechanismen.
  • Alkohol verursacht Entzündungen. Die dabei entstehenden Entzündungsfaktoren wirken sowohl mutagen als auch krebsfördernd.
  • Alkohol schädigt die Zellpermeabilität und kann in nahezu jede Körperzelle gelangen, wo er u. a. zum mutagen wirkenden Acetaldehyd abgebaut wird.
  • Alkohol erhöht die Invasionsbereitschaft des Gewebes, so dass sich Karzinomzellen besser ausbreiten können.
  • Alkohol führt zur Generierung von Sauerstoffradikalen („reactive oxygen species“), die die Erbsubstanz, Proteine und auch Lipide schädigen.
  • Alkohol wirkt wie ein Lösungsmittel, das die Permeabilität der Schleimhaut für Karzinogene wie z. B. Tabakrauch erhöht.
  • Alkohol verursacht einen Folsäuremangel, der die DNA verändern und so Krebs auslösen kann.
  • Chronischer Alkoholkonsum beeinträchtigt die Immunabwehr, indem es die chemotaktische Fähigkeit der neutrophilen Granulozyten einschränkt und die Abwehrfunktion verschlechtert.
  • Die ätzende Wirkung von Alkohol verursacht ein Absterben der oberflächlichen Schleimhaut und eine überschießende Reaktion der darunter liegenden Zellschicht, die zu einer bösartigen Entartung neigt (Weinberg 2014).
  • Durch den Alkohol wird die Schleimhaut im Mund durchlässiger für schädliche Substanzen, so dass Karzinogene vermehrt in den Körper gelangen (Bofetta et al 2006, Seitz und Mueller 2009).
  • Eine Aktivitätsverminderung der Acetaldehyd Dehydrogenase erhöht den Acetaldehyd Spiegel.
  • Alkohol kann wie ein Kokarzinogen wirken, das die mutagene Wirkung anderer (schwächerer) Karzinogene erhöht.
  • Alkoholkonsum führt auf Grund seines hohen Kaloriengehalts zu einer Fettleber, die in eine Fetthepatitis, dann Leberzirrhose und schließlich Leberkrebs übergehen kann.
  • Alkohol ist hochkalorisch, hemmt den Abbau von Fett und fördert Übergewicht, das wiederum eine Insulinresistenz mit nachfolgend erhöhtem Insulinspiegel verursacht, der die Zellvermehrung stimuliert.
  • Alkohol erhöht bei Frauen nach den Wechseljahren die Östradiol-Konzentration im Serum, wodurch sich das Risiko Östrogen empfindlicher Tumore erhöht (Baan et al 2007, Cummings et al 2009). Alkohol stimuliert die Östrogenproduktion, die Krebszellen zum Wachstum anregt.
  • Alkohol verursacht eine Schwächung des Magenöffnungsmuskels und begünstigt so den Rückfluss der Magensäure in die Speiseröhre. Die dadurch verursachte chronische Entzündung (Gastro oesophagealer Reflux) steigert die Zellbildung und das Entartungsrisiko.
  • Alkoholabusus geht häufig mit einer Fehl- und Mangelernährung sowie Mangelzuständen von Vitaminen und Spurenelementen einher, die die Krebsentwicklung fördern.

Gibt es einen (krebs)risikolosen Alkoholkonsum?

Die Medien und die Experten sind sich uneinig, ob geringer Alkoholkonsum (z. B. ein „Schlummertrunk am Abend“) risikolos ist. Die Frage, bis wann noch ein „mäßiger“(geringer)  und damit ein risikoarmer Alkoholkonsum vorliegt und ab welcher Alkoholmenge ein riskantes Trinken vorliegt, entzweite bereits die Mediziner im 19. Jahrhundert, die sich intensiv mit den gesundheitlichen Auswirkungen vom Alkoholkonsum befassten. Nach wie vor ist unklar, bis zu welcher Menge man sorglos trinken kann. Einige „Experten“ sind der Meinung, das schon weniger Tropfen Alkohol das Risiko einer Krebsentstehung begünstigen. Als Beispiel führen sie den Brustkrebs bei Frauen nach den Wechseljahren an, der schon bei sehr geringen Alkoholmengen entstehen kann. Andere vertreten die Auffassung, dass mäßiger Alkoholkonsum gut für Leib und Seele sei – und sich sogar krebshemmend auswirke.

Die unterschiedlichen Stellungnahmen  erklären sich damit, dass das Krebsrisiko nicht allein vom Alkohol- bzw. Acetaldehyd Gehalt des Getränks abhängt, sondern auch vom Trinkmuster, dem Trinkverhalten, der individuellen Disposition, dem Lifestyle: Alles Kriterien, die im Einzelfall schwer messbar sind. Auch weiß man, dass jedes Organ unterschiedlich auf Alkohol reagiert.

Kommentar: Zunehmend herrscht die Meinung einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung vor, bei der schon geringe Mengen ein – allerdings geringes – Risiko bedeuten, das aber mit zunehmendem Konsum wie bei einer J-Kurve steigt. 

Einschätzung des individuellen Risikos durch Alkohol

„Risikoarmer Konsum“ (weniger als 24 g Reinalkohol pro Tag für Männer, bis weniger als 12 g pro Tag für Frauen)

„Riskanter Konsum“ (mehr als 24 g bis 60 g Reinalkohol pro Tag für Männer, mehr als 12 g bis 40 g pro Tag für Frauen)

„Gefährlicher (Starker) Konsum“ (mehr als 60 g bis 120 g Reinalkohol pro Tag für Männer, mehr als 40 g bis 80 g pro Tag für Frauen)

„Hochkonsum“ (Sehr starker)  (mehr als 120 g Reinalkohol pro Tag für Männer, mehr als 80 g pro Tag für Frauen)

Kommentar: Präventionsmediziner schlagen vor, dass man nicht von risikolosem, sondern von einem risikoarmen Alkoholkonsum sprechen solle. Eine bestimmte Schwelle, unterhalb der Alkoholkonsum mit Sicherheit risikolos ist, gebe es nämlich nicht, sagen sie. Ein risikofreies Trinken von Alkohol gibt es nicht (DHS 2013).

Alkohol selbst in moderaten Mengen ist mit einem Gesundheitsrisiko verbunden. Dieses gesundheitliche Risiko ist zwar gering, aber steigt deutlich mit der konsumierten Alkoholmenge. Weniger Alkohol ist besser, mehr Alkohol birgt mehr Risiken

Wie hoch ist das Krebsrisiko bei mäßigem Alkoholkonsum?

Choi et al. haben sich auf der Basis einer Metaanalyse von 60 Langzeitstudien mit der Frage einer möglichen Krebsgefahr bei mäßigem Alkoholkonsum befasst. Sie stellten – im Vergleich zur Abstinenz – gering erhöhte relative Krebsrisiken (+9 %) bei leichtem Konsum (täglich bis zu 15 g Alkohol) für Brustkrebs bei Frauen und für Darmkrebs bei Männern fest. Die Lungenkrebs Häufigkeit war bei gleicher Menge um 9 %, die von Nierentumoren um 10 % und die von Schilddrüsenkrebs um 11 % geringer. Lediglich bei Brustkrebs war die Sterblichkeit um 9 % und bei Darmkrebserkrankungen (Männer) um 11 % höher, ansonsten war kein Einfluss auf die Sterblichkeit feststellbar. Zusammenfassend ergaben sich (im Vergleich zur Abstinenz) sowohl positive als auch negative Auswirkungen bei leichtem (mäßigen) Alkoholkonsum.

Kommentar: Die Existenz einer Schwelle, unterhalb der Alkohol gänzlich unschädlich ist, wird allgemein bezweifelt.

Ein risikoarmer Alkohol Konsum wird dann schnell risikoreich, wenn zusätzlich aktivierende Begleitumstände eintreten (etwa Alter, Rauchen, körperliche Inaktivität und schlechte Ernährung).

Auch, wenn sich Gesundheitsexperten sowie ausgewiesene Experten und Vinologen darüber streiten, ob mäßiger Alkoholkonsum ungefährlich ist, so herrscht doch allgemeine Übereinstimmung, dass hoher Alkoholkonsum ein höheres Risiko darstellt als mäßiger Alkoholkonsum.

Untersuchungen, die etwas über das Vorliegen einer möglichen  Alkoholabhängigkeit aussagen?

Es gibt mehrere Testverfahren, die auf eine mögliche Alkoholabhängigkeit hinweisen. Ein gewisse Verbreitung hat der CAGE-Test, der aus vier Fragen besteht und gerne bei der grundsätzlichen Frage eingesetzt wird, ob man alkoholgefährdet ist oder nicht. Liegen mindestens zwei „Ja“ Antworten vor, so weist dies auf eine wahrscheinlich alkoholbezogene Störung hin. CAGE ist eine Abkürzung für Cut down Drinking, Annoyance, Guilty, Eye opener. Zwischen null oder einer Ja-Antwort besteht keine Gefahr einer Alkoholgefährdung, bei zwei oder mehr Ja-Antworten ist Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit wahrscheinlich.Um eine Alkoholabhängigkeit mit Sicherheit auszuschließen, bedarf es allerdings weiterer differentialdiagnostischer Schritte.

Die vier Fragen des CAGE-Tests

  • Cut down Drinking: Haben Sie  jemals daran gedacht hat, weniger zu trinken?
  • Annoyance: Haben Sie sich schon einmal darüber geärgert, dass Sie von anderen Personen wegen Ihres hohen Alkoholkonsums kritisiert wurden?
  • : Haben Sie sich jemals wegen Ihres Alkoholkonsums schuldig gefühlt?
  • Eye opener: Haben Sie jemals morgens als erstes Alkohol getrunken, um „in die Gänge zu kommen“, oder sich nervlich zu stabilisieren oder einen Kater los zu werden?

Ähnlich wie beim CAGE Test sind auch die Fragen des ICD- 10 zur Alkoholabhängigkeit aufgebaut. Bei drei und mehr positiven Antworten ist von einer Alkoholabhängigkeit auszugehen. Die Beratung und Behandlung in einer spezialisierten Einrichtung ist dann wünschenswert.

Fragen des ICD- 10 zur Alkoholabhängigkeit

  • Spüren Sie (häufig) einen starken Drang, eine Art unbezwingbares Verlangen, Alkohol zu trinken? Kommt es vor, dass Sie nicht mehr aufhören können zu trinken, wenn Sie einmal begonnen haben?
  • Trinken Sie manchmal morgens, um eine Übelkeit oder das Zittern (z. B. Ihrer Hände) zu lindern?
  • Brauchen Sie zunehmend mehr Alkohol, um eine gewünschte Wirkung zu erzielen?
  • Ändern Sie Tagespläne, um Alkohol trinken zu können bzw. richten Sie den Tag so ein, dass Sie regelmäßig Alkohol konsumieren können?
  • Trinken Sie, obwohl Sie spüren, dass der Alkoholkonsum Ihnen körperlich, psychisch oder sozial schadet?

Zur Feststellung einer Alkoholerkrankung wird häufig auch der MALT-Test (Münchener Alkoholismus Test) benutzt. Er ist ausführlicher und aufwendiger als die CAGE- und ICD-10 Tests. Er besteht aus zwei Teilen, einem Fremdbeurteilungsteil (Laborwerte, Entzugserscheinungen, Folgeerkrankungen etc.) und einer Selbstbeurteilung. Von der WHO, der GK Quest Akademie, der Bundeszentrale für gesetzliche Aufklärung (BzgA) und den Oberberg Kliniken gibt es noch andere, mehr oder weniger aussagekräftige, Tests. In einigen Tests geht es weniger um die gesundheitlich bedenkliche Menge Alkohol als darum, ob und wie sehr sich der Alkohol konkret auf das tägliche Leben auswirkt; ob man z. B. Schwierigkeiten im Beruf und der Familie hat, wie dringend das Bedürfnis nach Alkohol ist, ob der Alkohol andere Interessen und Vorlieben verdrängt.

Viel benutzt wird der Audit-C Screening Test, der gerne mit der Frage einer eventuellen Handlungsbedürftigkeit eingesetzt wird.

Eine ausführliche Differentialdiagnostik ist mit dem Trierer Alkoholismus Inventar (TAI) möglich. In ihm werden anhand von 90 Fragen sieben Dimensionen abbildet: „Schweregrad“, „Soziales Trinken“, „Süchtiges Trinken“, „Motive“, „Schädigung“ sowie im Fall bestehender Partnerschaften „Partnerprobleme wegen Trinken“ und „Trinken wegen Partnerproblemen“.

Mögliche Wirkmechanismen und Einflüsse auf das Krebsrisiko

  • Alkohol beeinflusst das Krebsrisiko sowohl über seinen Metaboliten (Acetaldehyd) als auch über seine Eigenschaft als Krebspromotor..
  • Alkohol wird  durch die Enzyme Alkoholdehydrogenase (ADH) und Katalase sowie dem MEOS-System zu Acetaldehyd abgebaut, um danach durch die Acetaldehyd Dehydrogenase zu Essigsäure oxidiert zu werden. In Likörweinen, Obstbränden und Trester befinden sich von vorneherein hohe Acetaldehyd-Konzentrationen, weswegen ihnen eine hohe Krebsgefährdung nachgesagt wird.
  • In seiner Eigenschaft als Krebspromotor erhöht Alkohol die Aggressivität von Schadstoffen. Hierzu gehört auch die Verstärkung der Mutagenität von Tabakrauch. Besonders mutagen (und daher gefährlich) ist die Kombination von Acetaldehyd mit anderen mutagen wirkenden Schadstoffen.
  • Regelmäßiger Alkoholkonsum kann oxidativen Stress auslösen, der das Erbgut schädigt und die Reparatur von Krebsgenen behindert.
  • Alkohol beeinflusst die Produktion und/oder die Sekretion verschiedener Hormone (z. B. von Insulin und Östrogenen). Insulin stimuliert das Wachstum von Krebszellen und Östrogene erhöhten das Krebsrisiko bei hormonsensitiven Organen. Alkohol verursacht darüber hinaus einen Folsäuremangel, der die DNA verändert. 

Kommentar: Strukturelle Veränderungen des Genoms als alleinige Krebsursache – im Sinne von Mutationen – als Krebsursache bei Alkoholkonsum sind seltener als allgemein angenommen. Mindestens ebenso wichtig sind Einflüsse, die die Aktivität mutierter Gene steigern (bzw. erst möglich machen). Zu epigenetischen Einflüssen gehören u. a. Geschlechtshormonen, Körperfett, Entzündungen, Stoffwechselprodukte, Lifestylefaktoren, ja möglicherweise auch psychosoziale Faktoren.

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