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Prostatakrebs: Demographische Risikofaktoren

Wie glaubhaft sind die statistischen Häufigkeitsangaben aus verschiedenen Ländern?

Die Frage, warum Menschen in einigen Regionen häufiger, in anderen hingegen eher selten an Krebs erkranken, ist Gegenstand intensiver und teilweise kontroverser Diskussionen. Nicht selten werden übereilte und falsche Rückschlüsse aus den gemeldeten Häufigkeitsangaben gezogen. Angaben zu demographisch bedingten Erkrankungsrisiken und Häufigkeit sollten sehr kritisch interpretiert werden. Manchmal ist es angebrachter, aufgrund der statistischen Angaben von „Entdeckungs“- statt von Erkrankungsrisiken zu reden. Viele Gründe sprechen dafür:

  • Die statistischen Häufigkeitsangaben von Prostatakrebserkrankungen in den verschiedenen Ländern, Erdteilen oder Kulturkreisen beruhen weitgehend auf Angaben von Sterberegistern, seltener auf solchen zur Erkrankungshäufigkeit, wie sie in modernen Krebsregistern dokumentiert werden. Häufigkeitsberichte (Inzidenz und Prävalenz) sind jedoch in keiner Weise identisch mit Angaben zur Sterblichkeit (Mortalität). Dies trifft auf Prostatakrebserkrankungen in besonderem Maße zu.
  • Die unterschiedlichen Altershäufigkeiten werden häufig nicht berücksichtigt. Dabei ist die Krebshäufigkeit in einer Region mit einem hohen Anteil alter Menschen im Vergleich zu einer solchen mit einer eher jüngeren Bevölkerung allein aufgrund der unterschiedlichen Altersstruktur erhöht. Gleiches gilt für die Krebssterbefälle. Nur, wenn die Altersverteilung in der Bevölkerung berücksichtigt wird (Altersspezifische Inzidenzraten) sind Berichte vertrauenswürdig.
  • Auch ist die Qualität der in den Todesbescheinigungen erwähnten Todesursachen sehr unterschiedlich. Die meisten Prostatakrebspatienten sterben nicht „am Krebs, sondern mit dem Krebs“ an anderen altersbedingten Gebrechen; der eine Arzt wird bei ihnen als Todesursache Prostatakrebs angeben, der andere Arzt Herzschwäche oder sonstiges bescheinigen.
  • Die meisten Statistiken geben keine Auskunft zu den in den Ländern praktizierten Vorsorgeuntersuchungen. Auch werden Meldungen von Krebsvorstufen und latenten Karzinomen sehr unterschiedlich gehandhabt. Im einen Land werden sie in den Statistiken als Krebserkrankung aufgeführt, im anderen Land werden sie nicht registriert. Je häufiger in einem Land Krebsvorsorgeuntersuchungen erfolgen, desto häufiger werden in ihm zwangsläufig Krebserkrankungen festgestellt und gemeldet. Insofern können wegen der unterschiedlichen ärztlichen Versorgung und „Vorsorge“ Strategien völlig falsche Eindrücke von der tatsächlichen Prostatakrebshäufigkeit entstehen. Es erscheint paradox, aber so manches weist darauf hin, dass die „Erkrankungshäufigkeit“ umso größer ist je besser die medizinische Versorgung ist.
  • Sicher ist, dass das Risiko mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt. Aus Ländern mit einer niedrigen Lebenserwartung sind daher Meldungen mit niedrigeren Erkrankungszahlen zu erwarten als aus Ländern mit hoher Lebenserwartung.

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Terminologische Grundlagen der Krebsepidemiologie

Inzidenz Neuerkrankungen in einer Population
Inzidenzrate Anzahl von Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum geteilt durch die Anzahl der Personen unter Risiko im selben Zeitraum
Altersspezifische Inzidenzrate Inzidenzrate, bei der Neuerkrankungen und Personen unter Risiko einer bestimmten Altersgruppe angehören
Altersstandardisierte Inzidenzrate „Altersbereinigte“ Inzidenzrate, für die altersspezifische Inzidenzraten einer Population auf eine künstliche, normierte Standardbevölkerung übertragen werden
Kumulative Inzidenz Anzahl von Neuerkrankungen in einem bestimmten Zeitraum geteilt durch die Anzahl der Personen unter Risiko zu Beginn des Zeitraums, häufig als Lebenszeitinzidenz verwendet
Mortalität Todesfälle in einer Population
Mortalitätsrate Anzahl von Todesfällen in einem bestimmten Zeitraum geteilt durch die Anzahl der Personen unter Risiko im selben Zeitraum
Ursachenspezifische Mortalitätsrate Mortalitätsrate, bei der die Todesfälle auf eine bestimmte Ursache zurückgeführt werden
Letalität Anteil verstorbenen Personen an den Erkrankten (in einem definierten Zeitraum)
Prävalenz Erkrankte Personen in einer Population
Prävalenz rate Anzahl der Erkrankten geteilt durch die Anzahl der Personen unter Risiko zu einem bestimmten Zeitpunkt
Punktprävalenz Prävalenz zu einem bestimmten Zeitpunkt
Periodenprävalenz Prävalenz in einem bestimmten Zeitraum
Partielle Prävalenz Rate von in einem bestimmten Zeitraum erkrankten, noch lebenden Personen in einer Population

 

Gibt es geographische und regionale Häufigkeitsunterschiede?

Trotz berechtigter Bedenken bzgl. der Zuverlässigkeit der aus verschiedenen Ländern gemeldeten, statistischen Häufigkeitsangaben, besteht kein Zweifel daran, dass Prostatakrebserkrankungen in einigen Regionen und Kulturkreisen häufiger vorkommen. Die Erkrankungshäufigkeit kann von Land zu Land, von Kontinent zu Kontinent, bis auf das Zehnfache variieren. Hierfür sind allerdings weniger vererbbare Risiken als unterschiedliche Ernährungs- und Lebensgewohnheiten, sozioökonomische Einflüsse sowie die medizinische Versorgung der Bevölkerung, aber auch die zeitlich verschobene Einführung von Screeningprogrammen verantwortlich. Die Beobachtung, dass sich die weltweite Häufigkeit der klinisch bedeutungslosen latenten Prostatakarzinome im Gegensatz zu den invasiven und aggressiven Prostatatumoren kaum unterscheidet, spricht für den Einfluss äußerer Einflüsse (Promotoren) und gegen genetische Einflüsse.

In Ländern mit hohem Lebensstandard ist das Erkrankungsrisiko wesentlich höher als in Ländern der Dritten Welt und den fernöstlichen Ländern wie China und Japan. Prostatakrebserkrankungen nehmen jedoch auch dort zu. Die Veränderung des Lifestyles, die fettreichere Ernärung mit Veränderung des Gewichtsverhaltens haben in den letzten Jahrzehnten zu einer Veränderung der Prostatapathologie in Japan geführt.

Eine abnehmende Neuerkrankungsrate gibt es in keinem Land. Auch innerhalb Europas, ja auch in Deutschland, gibt es deutliche Häufigkeitsunterschiede. In Europa besteht ein Ost-West- und Nord-Süd-Gefälle zugunsten der südeuropäischen Länder. Der Krebsatlas der epidemiologischen Krebsregister in Deutschland (www.gekid.de) zeigt die unterschiedliche Erkrankungshäufigkeit in Deutschland.

Am seltensten sind Prostatakarzinomerkrankungen in Südostasien/ Ostasien (4/100.000), am häufigsten in Australien/Neuseeland (100/100.000) und bei Afroamerikanern (70/100.000). Die Häufigkeitsrate in China und Japan entspricht in etwa einem Achtel bis zu einem Zwanzigstel der in den USA (Bernstein 1991).

 

Womit erklärt man die erheblichen regionalen und geographischen Häufigkeitsunterschiede?

Früher führte man die Häufigkeitsunterschiede ausschließlich auf verschiedene genetische und rassische Einflüsse zurück. Heute neigt man eher dazu, sie mit ungleichen Umwelt-, Ernährungseinflüssen, dem andersartigen Lebensstil (Lifestyle) zu erklären. Krebsraten können sich in einer Bevölkerungsgruppe innerhalb kurzer Zeiträume verändern; ein Effekt, der sich durch Erbfaktoren nicht erklären lässt. Der „westliche Lebensstil“ trägt nicht nur vermehrt zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, zu Stoffwechsel-Krankheiten wie dem Typ-2-Diabetes, sondern auch zu Prostatakarzinomen bei.

Ob eine spezielle genetische Prädisposition der Grund für die sehr häufigen Prostatakrebserkrankungen bei Afroamerikanern ist, ist zwar denkbar, wird jedoch bezweifelt. Wahrscheinlicher sind die sozialen Bedingungen und der Lifestyle dieser Bevölkerungsgruppe. Dass Prostatakrebs bei Juden und Moslems weniger häufig vorkommt, liegt auch nicht an rassischen Besonderheiten sondern am schützenden Einfluss der Beschneidung. Dass Moslems und Juden weniger häufig an einem Prostatakrebs erkranken, wird u. a. auch mit der häufigeren Beschneidung dieser Bevölkerungsgruppen erklärt.

Der „westliche Lebensstil“ und besonders die westliche Diät, die reich an tierischem Fett und Protein aber arm an Ballaststoffen ist, ist ein offensichtlicher Tumorpromotor, der die Krankheitsentwicklung fördert. Sie haben zu mehr invasiven Prostatakrebserkrankungen beigetragen, sind nicht jedoch an der Krebsentstehung selber beteiligt; ertaunlicherweise ist nämlich im Gegensatz zu den invasiven Karzinomen die weltweite Häufigkeit latenter Karzinome gar nicht so unterschiedlich.

Sogenannte Migrantenstudien unterstützen die These, dass die erheblichen geographischen Häufigkeitsunterschiede im Wesentlichen auf exogene Einflüsse zurückzuführen sind. Japaner, die in die USA auswandern, wo sie (und insbesondere deren Nachkommen) sich anders ernähren als in Japan selber, erkranken wesentlich häufiger an Prostatakrebs als ihre in Japan verbliebenen Landsleute. Die Nachkommen von Einwandern aus einem Niedrigerkrankungs- in ein Hochrisikogebiet entwickeln zunehmend das gleiche Prostatakrebsrisiko wie das auch der Bevölkerung des Gastlandes. Keine Unterschiede bestehen jedoch zwischen den einzelnen Ländern in der Häufigkeit latenter, klinisch stummer Karzinome.

Im Zuge der Verwestlichung der Lebensweise, besonders der Ernährung ist es in Japan inzwischen zu einer Häufigkeitszunahme gekommen. Auch in China, wo seit zwei Jahrzehnten der Fleischverzehr um mehr als das 14-fache gestiegen ist, hat nicht nur die Anzahl der Übergewichtigen, sondern auch die der Prostatakarzinomerkrankungen zugenommen. Die altersadaptierte Prostatakrebssterblichkeit soll in China um 80% gestiegen sein.

Dort, wo der buddhistische Glauben den Lebensstil nach wie vor prägt, ist die Prostatakarzinomsterblichkeit wesentlich geringer als in westlichen Ländern. Deer andersartige Lebensstil, der geringere Verzehr von rotem Fleisch und tierischen Fetten, die sojareiche Kost, aber auch die Strukturierung der äußeren und inneren Lebensordnung sollen der Grund sein.

Die demographischen Häufigkeitsunterschiede lassen sich auch mit der unterschiedlichen geographischenzeitlichen Einführung von Krebs-Vorsorge-Programmen erklären. So wurde besonders aus denjenigen Ländern ein deutlicher Anstieg von Prostatakrebserkrankungen beobachtet, in denen die routinemäßige Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) als Screening Maßnahme eingeführt wurde.

 

Wieso erkranken in Nordeuropa mehr Männer als im Süden an Prostatakrebs?

Laut Statistik beträgt die Häufigkeit der Prostatakrebs Erkrankungen in Schweden 90,9/100.000 Männer, in Spanien hingegen nur 35,9 /100.000 und in Griechenland sogar nur 14/100.000 Prostatakrebskranke. Neben Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der gemeldeten statistischen Erkrankungsdaten gibt es mehrere Hypothesen für dies auffällige Nord Südgefälle.

Einige Experten meinen, es läge an der unterschiedlichen Aufnahme von Vitamin-D. Hellhäutige Menschen, die sich kaum in der Sonne aufhalten, aber auch Dunkelhäutige im sonnenarmen Norden, nehmen weniger krebsschützendes Vitamin D auf.

Wahrscheinlicher ist jedoch die unterschiedliche traditionelle Lebens- und Ernährungsweise. Der unterschiedlich hohe Fleisch- und Fettkonsum, das Übergewicht, der unterschiedlich hohe Gehalt gesättigter Fettsäuren in der Ernährung sowie der ungleiche Kalzium- und Vitamin-D-Spiegel sollen hiernach die Ursache sein (Poulakis 2002). Bemerkenswert ist die inzwischen überproportional zunehmende Prostata-Krebssterblichkeit in den Mittelmeerländern, was man auf den Anstieg des Fleischkonsums bzw. der abnehmenden „mediterranen Ernährungsweise“ mit vielen Phytoöstrogenen zurückführt. Der Fleischverzehr soll sich seit 1961 etwa verfünffacht haben. Von der angeblich krebsschützenden mediterranen Lebensweise ist nicht mehr viel übrig geblieben.

Auch die verschieden ausgeprägte körperliche Aktivität wird oft als Grund angeführt. Wegen der besseren klimatischen Verhältnisse, aber auch der geringeren Automatisierung der Arbeitswelt sind Südeuropäer körperlich aktiver. Sehr wahrscheinlich bestehen auch Zusammenhänge mit der unterschiedlichen Wahrnehmung von Krebs- Früherkennungsmaßnahmen.

 

Wie erklärt man die Häufigkeitszunahme in Ländern der Dritten Welt?

Die Verwestlichung der Lebens- und Ernährungsgewohnheiten ist der Hauptgrund. Hierzu zählen der zunehmende Konsum fetthaltiger Nahrungsmittel, der geringere Verzehr von Obst, Gemüse und Ballaststoffen, häufigeres Übergewicht, Bewegungsmangel sowie der zunehmende Alkohol- und Nikotinkonsum.

Natürlich hat auch die in Ländern der Dritten Welt zunehmende Lebenserwartung einen Einfluss. Sicherlich sind auch die bessere medizinische Versorgung und die Zunahme der „gemeldeten“ Karzinome gewichtige Faktoren.

 

Erkranken arme Menschen häufiger? Hat die Bildung einen Einfluss?

Armut ist ein Risikofaktor für gesundheitliche Beeinträchtigungen, auch für Krebs. Menschen mit niedrigem Einkommen, schlechter Ausbildung und geringer Bildung erkranken häufiger. Gründe sind die stärkere Exposition mit krebsfördernden Stoffen im Privat- und Arbeitsleben, das häufigere Übergewicht, der verbreitete Alkohol- und Tabakkonsum, aber auch die fetthaltigere Ernährung sowie die körperliche Inaktivität und nicht zuletzt auch die geringere Inanspruchnahme von Krebsvorsorge Angeboten. Auch der hohe Fett- und Fleischkonsum wird als mögliche Ursache gesehen. Vielen erscheint es paradox, aber gemäß der Statistik konsumieren – im Gegensatz zu früher und zu Ländern der Dritten Welt- sozial Benachteiligte in den Wohlstandsländern mehr Fleisch als Wohlhabende.

In den USA gibt es unter der sozial deklassierten schwarzen Bevölkerung wesentlich mehr Krebskranke als in der weißen Mittel- und Oberschicht. Ihr Erkrankungsalter ist auch niedriger. Schlechtere soziale Bedingungen, besondere Lebensgewohnheiten, niedrigerer Bildungsstand und geringere Wahrnehmung von Vorsorge-Früherkennungs-Angeboten gelten als eigentliche Ursachen. Nicht nur Prostatakrebs, auch viele andere Krebserkrankungen sind in der wirtschaftlich weniger privilegierten Bevölkerung häufiger.

Quelle und Buch-Tipp:

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