Junge Brustkrebspatientinnen sollten grundsätzlich ihren Arzt danach fragen, ob möglicherweise eine Erbanlage zu der Erkrankung geführt hat. Bei jungen Frauen (< 40 Jahre) ist eine solche nicht selten. Betroffene und deren Angehörige mit einer erblichen gehören zu den Hochrisiko-Personen, die sich in einem Zentrum für erblich bedingte Erkrankungen betreuen lassen sollten. Dort arbeiten Internisten, Gynäkologen, Onkologen, Psychologen, Molekulargenetiker, Pathologen und Chirurgen zusammen, die sich auf die körperlichen und psycho-sozialen Probleme bei erblich vorbelasteten Krebserkrankungen spezialisiert haben. Liegen Verdachtshinweise vor, so sollte man sich in speziellen Beratungszentren beraten lassen. Adressen kann man bei der deutschen Krebshilfe erfahren (www.krebshilfe.de, Telefon 0228-72990-0). Bei familiär gehäuftem Krebsvorkommen sollte man die Vorbeugung besonders ernst nehmen und die Möglichkeiten der Krebsfrüherkennung nutzen.
Gibt es eine präventive Gentherapie zur Verhinderung von Brustkrebs?
Kann man das Genom beeinflussen (Manipulation des Genoms)? Die experimentelle Therapieforschung befasst sich intensiv mit Möglichkeiten, über Manipulationen am Genom Einfluss auf die Krebsentstehung auszuüben und krankhafte Gene zu eliminieren. Bislang beschränken sich solche Versuche allerdings auf Experimente. Ein Weg, den man intensiv verfolgt, ist der einer DNAMethylierung, ein anderer jener über Viren. Viren können nämlich nicht nur Krebs verursachen, sondern auch als Vehikel zur Verhinderung von Krankheiten eingesetzt werden. Gelingt es, den Viren Reparaturgene unterzuschieben, die dann per „Huckepack“ in Patientenzellen eingeschleust werden, so können hierdurch reparierende Informationen in die DNA eingebaut und so bestimmte Erkrankungen wie z. B. Krebs verhindert werden. In einigen Versuchen ist Forschern dies schon gelungen; dies allerdings nur bei schweren Immundefekten.
Ist eine an einer Genomanalyse orientierte Risikoabschätzung sinnvoll und möglich?
Dank einer Erbgutanalyse Risikogruppen zu identifizieren (Genombasierte Risiko-Abschätzung bzw. multifaktorieller Risikoscore) und so eine „maßgeschneiderte, zum persönlichen Genom passende“, individualisierte Krebsprävention durchzuführen, ist noch ein Traum, der jedoch dank der Fortschritte in der Molekulargenetik bald Wirklichkeit werden könnte. Noch kennen wir nur einen Bruchteil der Krebsgene, entdecken jedoch immer mehr Genvarianten, die die Krankheitsentstehung und -entwicklung mit beeinflussen. Bislang vermögen wir in der Praxis nur sehr wenige, dominante Hochrisiko-Gene wie z. B. die vererbbaren mutierten BRCA 1- und 2-Gene zu identifizieren und danach eine, allerdings auch limitierte, Risikoeinschätzung vorzunehmen. Problematisch ist, dass weitaus die Mehrzahl der Krebserkrankungen nicht die Folge eines einzigen, angeborenen Krebsgens (monogene Erkrankung), sondern Auswirkungen zahlreicher angeborener und erworbener Krebsrisikogene sind (polygene Erkrankung). Erschwerend ist darüber hinaus, dass diese Krebsgene häufig inaktiv sind, um erst bei schädlichen Einflüssen aktiv zu werden. Erst die Ermittlung der Gesamtheit der Risikogene mit ihrer Vernetzung und ihrem Aktivitätszustand würde zur Identifizierung von Hochrisikogruppen führen und im Idealfalle einen „multifaktoriellen Risikoscore“ ermöglichen (Burton et al. 2013). Heute weiß man, dass die strukturelle Identifizierung von Krebsgenen allein zur kompletten Risikoeinschätzung nicht ausreicht, denn sowohl die Krankheitsentstehung als auch die Aktivität werden zusätzlich durch epigenetische Faktoren und Tumorpromotoren beeinflusst, die nicht auf die Struktur und Reihenfolge der DNABausteine ausgerichtet sind.
Wo kann man eine Analyse des Erbgutes (Genanalyse) vornehmen lassen, um eine Gefährdung zu erkennen?
Technisch und finanziell sind Analysen des Erbguts (DNA-Analysen) heute kein Problem mehr. Es gibt viele Angebote im Internet, die Erbgutanalysen (Gensequenzierungen) anbieten. Biotechnologie-Unternehmen, die die Gene ihrer Kunden bereits für weniger als 100 Dollar zu entziffern versprechen, werben mit Slogans wie „Kenne deine Gene, dann kennst du dich selbst“. Aus mehreren Gründen sind derartige Angebote ohne fachärztliche Begleitung problematisch. Nicht allein, dass in diesen Analysen bloß eine begrenzte Anzahl von Risikogenen feststellbar ist und nicht zwischen deren Penetranz (Dominanz) und Schwäche bzw. Inaktivität unterschieden werden kann, sondern es können auch Fehler bei der Probengewinnung des Speichels, beim Transport (z. B. Strahlenschäden) und bei der Probenaufbereitung (Kontamination mit Viren und Bakterien) entstehen. Auch gibt es ethisch-rechtliche Einwendungen. Am problematischsten ist aber, dass eine Genanalyse ohne gleichzeitige fachärztliche Begleitung bei den Betroffenen zu falschen Schlussfolgerungen führen kann. Laut Gendiagnostikgesetz dürfen in Deutschland deshalb nur Ärzte mit einer speziellen Qualifikation genetische Beratungen und Analysen veranlassen und durchführen. Grundsätzlich dürfen sie einen DNA-Test auch nur dann veranlassen, wenn sich aus dem Ergebnis Konsequenzen für die Behandlung oder Prävention ergeben. Adressen wohnortnaher humangenetischer Beratungsstellen findet man im Internet (www.gfhev.dewww.gfhev.de).
Welche Präventionsmöglichkeiten gibt es für Frauen mit Hochrisikogenen, z. B. mutierten BRCA-Genen?
Der alleinige Nachweis einer Mutation in den BRCA-Genen sagt noch nichts über die Höhe des individuellen Krebsrisikos aus, denn dies wird durch zusätzliche Einflußfaktoren bestimmt. Frauen mit einer nachgewiesenen BRCA1- oder BRCA2-Mutation erkranken mit einer Wahrscheinlichkeit von 30 bis 80 Prozent an Brustkrebs. Diese relativ hohe Schwankungsbreite erklärt sich mit Allel-Variationen innerhalb der BRCA-Gene, mit hormonellen Einflüssen, zusätzlichen modifizierenden Genen, aber auch dem unterschiedlichen Lifestyle der Betroffenen. Durch ihre Lebensweise kann die Krebs gefährdete Trägerin eines Hochrisikogens mit dazu beitragen, ob es zu einer Erkrankung kommt oder nicht (Kauff et al. 2002, Meindl et al. 2011). Auch gibt es therapeutische Möglichkeiten. Die bekanntesten sind die prophylaktische Entfernung beider Brüste und/oder die Entfernung der Eierstöcke. In Deutschland entscheiden sich die meisten Anlageträgerinnen für das intensivierte Früherkennungsprogramm, eventuell ergänzt durch eine medikamentöse Prophylaxe, obwohl ein operativer Eingriff eindeutig den größten Schutz verspricht. Das intensivierte Früherkennungsprogramm für noch gesunde BRCA1/2-Trägerinnen ist wesentlich aufwendiger als die gesetzliche Brustkrebsvorsorge-Früherkennung. So erfolgt die Früherkennung mit dem Kernspin (MRT) und/oder dem Ultraschall, denn diese sind wesentlich aussagekräftiger als die Mammographie und führen auch nicht zu einer Strahlenbelastung (Lowry et al. 2010). Ob die prophylaktische Entfernung der Brüste, die Entfernung beider Eierstöcke oder möglicherweise sogar beide Eingriffe mit oder ohne Medikamente, mit oder ohne intensivierte diagnostische Überwachung im Einzelfall in Frage kommen, sollte eine interdisziplinär besetzte Gruppe von Spezialisten erarbeiten und der Betroffenen vorschlagen. An den meisten Universitätskliniken gibt es solche spezielle Risikoberatungssprechstunden (Adressen im Anhang). Wichtig ist, dass Betroffene und ihre Familien einen Weg finden, mit dem Erkrankungsrisiko und der damit verbundenen Angst umzugehen. Auch diesbezüglich werden Hilfen in den Risikoberatungsstellen angeboten. Weitere Details zur Vorbeugung bei familiär bedingtem Brustkrebs befinden sich im Kapitel 2 „Vorbeugung durch medikamentöse sowie chirurgische Maßnahmen“ sowie im Kapitel 3 „ Genetische Untersuchungen.“
Wie viel Sicherheit bietet die vorsorgliche Entfernung der Brust?
Durch die vorsorgliche Entfernung beider Brüste kann das Erkrankungsrisiko um bis zu 90 % reduziert werden. Bei zusätzlicher Entfernung der Eierstöcke lässt sich das Risiko noch weiter verringern. Ein hundertprozentiger Schutz wird allerdings nicht erreicht. Die meisten Zentren empfehlen, die prophylaktische Entfernung beider Brüste (bilaterale prophylaktische Mastektomie) nicht vor dem 25. Lebensjahr durchzuführen, sondern 5 Jahre vor dem Erkrankungsalter einer Betroffenen in der Familie.
Wie viel Sicherheit bietet die vorsorgliche Entfernung der Eierstöcke?
Einen, allerdings nicht so hohen Schutz wie die prophylaktische Brustentfernung ermöglicht die Unterbindung der Östrogenproduktion nach Entfernung beider Eierstöcke und Eileiter (SalpingoOophorektomie). Sie führt zu einer Verringerung des Brustkrebsrisikos um 50 bis 70 %, und die des Eierstockkrebsrisikos um mehr als 95 %. BRCA1-Trägerinnen profitieren in besonderem Maße von der prophylaktischen Eierstockentfernung. Viele junge Frauen entscheiden sich aus kosmetischen Gründen für eine Eierstockentfernung, obwohl sie weniger wirksam ist und – ebenso wie die prophylaktische Brustentfernung – zu unerwünschten Nebenwirkungen führt. Schwangerschaften sind nicht mehr möglich, die künstlich herbeigeführten vorzeitigen Wechseljahre führen zu klimakterischen Beschwerden. Langfristig kann es zu einem Knochenmasseverlust mit Frakturgefährdung kommen. Die Wechseljahrbeschwerden sowie das Osteoporose-Risiko können allerdings durch eine Hormonersatztherapie günstig beeinflusst werden. Erfreulicherweise beeinflusst sie nicht das Erkrankungsrisiko.
Hat der Lebensstil Einfluss auf die Krankheitsentwicklung bei Frauen mit einem Hochrisiko-Gen?
Es gibt Hinweise auf eine Risikoreduzierung bei sportlich aktiven Frauen, die darüberhinaus nicht übergewichtig sind. Allerdings stammen diese Hinweise aus retrospektiven Studien mit kleinen Fallzahlen und bedürfen der Überprüfung. Das Ergebnis einer großen prospektiven, von der Deutschen Krebshilfe unterstützten Lebensstil-Interventionsstudie (LIBRE-Studie = Lebensstil-Intervention bei Frauen mit erblichem Brust- und Eierstockkrebs) steht noch aus (2015). Die Studie soll Klarheit schaffen, ob körperliche Aktivität sowie eine fettarme, kalorienarme Ernährung die Entstehung und den Verlauf der Brustkrebserkrankung bei Frauen mit einer BRCA-Gen-Anlage beeinflusst.
Quelle und Leseempfehlung zur Brustkrebsvorsorge:
Brustkrebs vermeiden (Personalisierte Krebsvorsorge und Früherkennung)
Hermann Delbrück ist Arzt für Hämatologie – Onkologie und Sozialmedizin sowie Rehabilitation und physikalische Therapie und Hochschullehrer für Innere Medizin und Sozialmedizin. Während seiner Laufbahn in der experimentellen, kurativen und vor allem rehabilitativen Onkologie veröffentlichte er mehrere Lehrbücher. Er ist der Herausgeber zahlreicher Ratgeber für Betroffene mit Krebs. Seit seiner Emeritierung 2007 befasst er sich vorrangig mit Fragen der Prävention von Krebs.