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Darmkrebs: Vorbeugung bei erblich bedingtem Risiko

Menschen mit einer erblich bedingten Anlage für Krebs gehören zu den Hochrisiko-Personen, die einer speziellen Überwachung und Beratung bedürfen. Wegen der sehr komplexen diagnostischen und therapeutischen Probleme sowie der oft gleichzeitigen psychosozialen Auswirkungen sollten sie sich in einem erfahrenen Zentrum für erblich bedingte Erkrankungen

betreuen lassen. Internisten, Gastroenterologen, Onkologen, Psychologen, Molekulargenetiker und Chirurgen, die sich auf die Probleme von erblich vorbelasteten Krebspatienten spezialisiert haben, arbeiten in solchen Zentren zusammen.

Gibt es eine präventive Gentherapie zur Verhinderung von Krebs (Manipulation des Genoms)?

Versuche, über Manipulationen am Genom selbst Einfluss auf die Krebsentstehung auszuüben, sind Gegenstand einer intensiven Forschung. Ein Weg, den man intensiv verfolgt, ist der einer DNAMethylierung der Histon-Modifikation und MicroRNAs. Ein anderer Weg verläuft über Viren. Viren können nämlich nicht nur Krebs verursachen, sondern auch als Vehikel zur Verhinderung von Krankheiten dienen. Gelingt es, den Viren Reparaturgene unterzuschieben, die dann per „Huckepack“ in Patientenzellen eingeschleust werden, so lassen sich dadurch reparierende Erbinformationen in die DNA einbauen und bestimmte Karzinome verhindern. In einigen Versuchen ist Forschern dies bereits gelungen, allerdings nur bei schweren Immundefekten. Bei Krebs befinden sich solche Gentherapien noch im Versuchsstadium.

Was versteht man unter einer epigenetischen Beeinflussung des Darmkrebsrisikos?

Bei der Entwicklung von Darmkrebs geht man von einem Mehrschrittmodell aus. Dieses Modell besagt, dass der Tumor während seiner Entwicklung verschiedene Stadien bis zur Erkrankung durchläuft, beginnend mit Genmutationen, der Entstehung von Krebsvorstufen und Krebszellen und endend mit dem Übergang in ein aggressives Karzinom. Der Übergang von einem Stadium zum nächsten wird u. a. durch die Stärke der Genaktivität bestimmt, deren Aktivität von epigenetischen Faktoren abhängt. Aus der Forschung mit eineiigen Zwillingen, aber auch aus Beobachtungen bei Tieren, weiß man, dass angeborene, ererbte Gensequenzen nicht allein für die weitere Entwicklung verantwortlich sind, sondern dass es vielmehr zusätzlicher (epigenetischer) Einflüsse bedarf, die diese ererbten gemeinsamen Gene aktivieren oder inaktivieren. Angeborene und erworbene epigenetische Faktoren aktivieren oder inaktivieren Gene und Tumorpromotoren, bestimmen die Geschwindigkeit des Übergangs von einem Stadium zum anderen. Zu einer Darmkrebserkrankung kommt es – abgesehen vom eher seltenen FAP- und Lynch-Syndrom – in der Regel erst, wenn mehrere Risikogene aktiviert bzw. Reparaturgene inaktiviert werden. Epigenetische Einflüsse schalten Reparaturgene und andere Schutzmechanismen an oder aus. Nachteilig ist, wenn Reparaturgene ausgeschaltet werden. Auf der Erkenntnis stabilisierender Einwirkungen epigenetischer Einflüsse basieren viele in diesem Kapitel kommentierte Empfehlungen.

Ist eine an einer Genomanalyse orientierte Risikoabschätzung sinnvoll?

Darmkrebs ist ein Paradebeispiel für eine multikausale Erkrankung, bei der einzelne Risikogene nur eine begrenzte Aussage zur Wahrscheinlichkeit einer späteren Krebserkrankung gestatten, es sei denn, die Krebsgene sind – wie bei der familiären Adeno-Polyposis (AFP) – sehr dominant. Die Forschung entdeckt immer mehr Genvarianten und schadhaften Gene, die die Krankheitsentstehung und -entwicklung beeinflussen. Noch ist man aber nicht in der Lage, alle mehr oder weniger aktiven Risikogene und ihre Interaktionen zu lokalisieren und ihre Bedeutung für die Krebsentwicklung einzuschätzen. Lediglich bei Genträgern mit sehr dominanten APC- und Lynch-Genen erlauben Analysen eine – allerdings auch nicht hundertprozentige – Risikoeinschätzung. Bei weitaus der Mehrzahl der Darmkrebserkrankungen handelt es sich nicht um die Folge eines einzigen Krebsgens (monogene Erkrankungen), sondern um Auswirkungen zahlreicher angeborener und erworbener Krebs-Risiko-Gene, die untereinander interagieren. Erschwerend ist, dass sie auf unterschiedlichen Chromosomen und verschiedenen „Loci“ (Orten) liegen, und meist erst bei weiteren schädlichen Einflüssen aktiv werden. Erst die Ermittlung der Gesamtheit der Risikogene mit ihrer Vernetzung würde eine routinemäßige Genomanalyse zur Risikoabschätzung rechtfertigen.

Wo kann man eine Analyse des Erbgutes (Genanalyse) vornehmen lassen, um Risikogene zu erkennen?

Biotechnologie-Unternehmen, die die Gene ihrer Kunden bereits für weniger als 100 Dollar zu entziffern versprechen, werben mit Slogans wie „Kenne deine Gene, dann kennst du dich selbst“. Es gibt viele Angebote im Internet, die Erbgutanalysen (Gensequenzierungen) anbieten. Technisch und finanziell sind solche Analysen des Erbguts (DNA-Analysen) heute kein Problem mehr. Aus mehreren Gründen sind sie jedoch ohne fachärztliche Begleitung problematisch. Nicht allein, dass sie bloß eine begrenzte Anzahl von Risikogenen feststellen und nicht zwischen deren Penetranz (Dominanz) und Schwäche unterscheiden, es können auch Fehler bei der Probengewinnung des Speichels, beim Transport (z. B. Strahlenschäden) und bei der Probenaufbereitung (Kontamination mit Viren und Bakterien) sowie Verwechslungen entstehen. Datenschützer befürchten, dass Informationen an Arbeitgeber oder Versicherungen weitergegeben werden könnten. Auch gibt es ethisch-rechtliche Einwendungen. Am problematischsten ist aber, dass die Genanalysen bei den Betroffenen zu falschen Schlussfolgerungen führen können. Laut Gendiagnostikgesetz dürfen in Deutschland daher nur Ärzte mit einer speziellen Qualifikation genetische Beratungen und Genanalysen veranlassen und durchführen. Grundsätzlich dürfen sie einen DNA-Test auch nur dann veranlassen, wenn sich aus dem Ergebnis Konsequenzen für die Behandlung oder Vorbeugung ergeben. Adressen wohnortnaher, humangenetischer Beratungsstellen findet man im Internet (www.gfhev.de/).

Wie können sich Menschen mit einer FAP-Erbanlage vor einer Darmkrebserkrankung schützen?

Zu den „Höchst-Risiko-Personen“ gehören Menschen mit einem FAP-Syndrom. Die nach wie vor beste Krebsvorbeugung bei ihnen ist die operative Entfernung des gesamten Dick- und Enddarms. Das ist ein großer Eingriff, der erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität hat, jedoch den bislang einzig nachweisbaren Schutz vor Krebs bietet. Einige Zentren versprechen sich von der prophylaktischen Einnahme von Aspirin einen hemmenden Einfluss auf die Bildung von Adenomen. Wenn überhaupt, kommt es hierdurch aber lediglich zu einer Hemmung, nicht jedoch zur Verhinderung des Adenom- und Krebswachstums.

Gibt es Möglichkeiten des Erfahrungsaustausches zwischen Betroffenen mit einem FAP-Syndrom?

Für die FAP existiert mit der „Familienhilfe Polyposis Coli e.V.“ eine überregionale Selbsthilfegruppe, die gerne unterstützt, Informationen an Ratsuchende weiter leitet und eventuell vermittelt. Sie stellt Kontakte zwischen betroffenen Familien her, um Erfahrungen und Informationen auszutauschen (Familienhilfe Polyposis coli e. V., Am Rain 3 a, 36377 Schenklengsfeld, E-Mail: www.familienhilfe-polyposis.de).

Welche Untersuchungen sind bei Verdacht auf eine FAP-Erbanlage sinnvoll?

Früher waren Augenhintergrund-Untersuchungen (Spiegelungen) eine wesentliche Hilfe bei der Diagnose, denn FAP-Genträger haben häufig einen charakteristischen Pigmentfleck auf der Netzhaut, der bei einer Augenspiegelung erkennbar ist. Heute führt man molekulargenetische Untersuchungen durch, die wesentlich genauer sind; für die Untersuchung reichen etwa 10 ml Blut aus. Stellt man ein FAP-Gen fest, sollten früh und in regelmäßigen Abständen DarmKrebsvorsorgeuntersuchungen stattfinden. Für FAP-Träger gibt es besondere Früherkennungs-Programme, die engmaschige Kontrolluntersuchungen vorsehen. Spezielle Zentren für familiären Darmkrebs haben sich auf Diagnose, Früherkennung und Betreuung von FAP-Patienten sowie erbliche Darmkarzinomformen spezialisiert. Es empfiehlt sich, die Betreuung dort durchführen zu lassen. Das FAP-Gen wird von dem betroffenen Elternteil an die Hälfte der Kinder weiter vererbt. Es wird autosomal dominant vererbt, d. h. gleichermaßen an Jungen wie Mädchen. Angehörige von Verwandten, bei denen die Mutation ausgeschlossen wurde, brauchen nicht in das Früherkennungsprogramm aufgenommen zu werden.

Können Krebspatienten mit einem Lynch-Syndrom (HNPCC) ihr Krebsrisiko reduzieren?

Bei einer HNPCC-Anlage wird in Deutschland eher ein risikoadaptiertes Vorgehen empfohlen, das sich von der aggressiveren Vorgehensweise in den USA unterscheidet. Dort neigt man – ähnlich wie beim FAP-Syndrom – zu einer prophylaktischen chirurgischen Entfernung des gesamten Darms. Die deutschen Leitlinien empfehlen hingegen die Entfernung der einzelnen Tumore und danach die Durchführung engmaschiger Darmspiegelungen, um erst bei neuen Tumoren ähnlich radikal einzugreifen (Schmiegel et al. 2008). Zunehmend wird von manchen Gastroenterologen die tägliche Einnahme von AspirinR zur Prophylaxe empfohlen. In mehreren Studien hat sich nämlich gezeigt, dass AspirinR die Entwicklung von Adenomen hemmt. Auch die Entstehung anderer Tumore – die bekanntlich beim Lynch-Syndrom häufiger auftreten – wird durch AspirinR gehemmt. AspirinR muss allerdings mehrere Jahre hindurch eingenommen werden, bevor ein Effekt feststellbar ist.

Welche Vorsorgeuntersuchungen sind bei einer HNPCC-Erbanlage sinnvoll?

Wird bei einer Person eine HNPCC-Erkrankung nachgewiesen, sollten auch deren Angehörige auf ein erhöhtes Risiko hingewiesen und ihnen die Beratung durch einen Arzt für Humangenetik empfohlen werden. Er wird u. a. eine prädiktiv molekular-genetische Diagnostik zum Ausschluss durchführen. Ausführlichere Informationen, Adressen von Zentren und Beratungsstellen, finden sich auf den Informationsseiten des Verbundprojektes der Deutschen Krebshilfe „Familiärer Darmkrebs“ sowie im Internet unter www.hnpcc.de/.

Gibt es Empfehlungen bei familiär gehäuftem Krebsvorkommen?

Neben dominant wirkenden Gendefekten, welche zur Familiären Adenomatösen Polyposis (FAP) und dem Lynch-Syndrom führen, gibt es zahlreiche andere vererbbare Risikogene, die in Familien zu gehäuften Darmkrebserkrankungen führen können, aber noch nicht identifiziert sind. Angehörige solcher „Darmkrebsfamilien“ zählen zu den Hochrisikopatienten, bei denen Früherkennungsmaßnahmen (Vorsorgespiegelungen) spätestens im Alter von 50 Jahren empfohlen werden. Die üblichen Vorsorgeuntersuchungen, wie die Suche nach Blut im Stuhl oder eine Darmspiegelung nur alle 10 Jahre, reichen bei ihnen nicht aus (Ausführlicheres zu den Empfehlungen wird in Kapitel III dargelegt). Angehörige von „Darmkrebsfamilien“ sollten sich in einem der von der Deutschen Krebshilfe gegründeten Verbundprojekte (Bochum, Bonn, Dresden, Düsseldorf, Heidelberg, München, Regensburg) informieren und beraten lassen. Adressen sind über die Deutsche Krebshilfe zu erfahren (www.krebshilfe.de).

Quelle und Leseempfehlung zur Darmkrebs-Vorsorge:

Darmkrebs vermeiden (Personalisierte Krebsvorsorge und Früherkennung)

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